Ein dunkler Ort
nachsehen wollte, was passiert war. Aber ihre Tür war verschlossen.«
»Das kann nicht sein«, sagte Jules. »Die Türen können von innen nicht abgeschlossen werden.«
»Warum eigentlich nicht?«, fragte Kit.
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich es gesagt habe. Warum kann man sie von innen nicht abschließen, so wie alle anderen Türen? Deine Mutter sagte, sie hat Schlösser an den Türen anbringen lassen, damit unsere Privatsphäre gewahrt bleibt. Aber wie kann man denn eine Privatsphäre haben, wenn man sich nicht im Zimmer einschließen kann?«
»Du kannst abschließen, wenn du das Zimmer verlässt«, sagte Jules. »Damit niemand an deine Sachen geht, solange du weg bist.«
»Das macht mir keine Sorgen«, sagte Kit. »Die anderen Mädchen haben auch Laptops. Was soll mir schon geklaut werden? Ich hab nichts Wertvolles rumstehen. Aber ich würde wirklich gern die Tür abschließen können, wenn ich im Zimmer bin. Und letzte Nacht war Sandys Tür abgeschlossen, ich hab am Knauf gedreht. Und dann plötzlich ging sie doch auf, als ob sie jemand geöffnet hätte.«
»Dann war sie auch nicht abgeschlossen«, sagte Jules bestimmt. »Die Tür muss geklemmt haben. Ich sorg dafür, dass die Angeln mal geölt werden. Welches Zimmer, sagtest du, war es?«
Frustriert musterte Kit ihn. »Hast du denn gar nicht zugehört? Ich hab dich nicht gebeten, Sandys Schloss zu ölen. Ich versuch dir zu erzählen, dass hier in Blackwood irgendwas Seltsames vorgeht. Letzte Nacht war jemand in Sandys Zimmer. Eine Frau, ich weiß, das klingt durchgeknallt, aber Sandy hat sie mit eigenen Augen gesehen.«
»Sie hat geträumt«, meinte Jules. »Du hast doch gerade gesagt, dass ihr alle zurzeit viel träumt. Das ist kein Grund zur Sorge. So was kommt oft vor, wenn man zum ersten Mal von zu Hause weg ist. Neue Leute zu treffen und sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen ist eine Belastung.«
Er hielt inne und fragte dann mit leiserer Stimme: »Hat sie irgendwas gesagt … die Frau in Sandys Zimmer?«
Von dieser Frage war Kit überrascht. »Warum fragst du?«
»Na … ich wollte nur hören, wie die Geschichte ausgeht.«
»Ich glaube nicht, dass sie was gesagt hat. Jedenfalls hat Sandy mir nichts erzählt. Aber warum interessiert dich das, wenn du so sicher bist, dass es ein Traum war?«
»Sandy hat geschrien«, sagte Jules. »Ich dachte, das wäre vielleicht die Reaktion auf etwas gewesen, das die Frau zu ihr gesagt hat.«
»Sie hatte Angst«, sagte Kit. »Es reichte schon, dass die Frau überhaupt da war. Kannst du dir denn nicht vorstellen, wie das wäre, wenn du in einem Raum aufwachen würdest, in dem du dachtest, du wärst allein, und plötzlich steht jemand neben deinem Bett und guckt auf dich runter? Und diese Kälte … ich hab sie selbst gespürt. Mir kam ein Schwall kalter Luft entgegen, als ich ins Zimmer ging … und Sandy war ganz blau gefroren. Ihr Hände waren wie Eis.«
»Hör mal, Kit«, sagte Jules, »da kann einfach keine Fremde in Sandys Zimmer gewesen sein. Wie sollte sie denn dahin gekommen sein? Die Tore von Blackwood sind nachts immer verschlossen und das Haus auch. Niemand klettert die Mauer hoch und steigt durchs Fenster. Und selbst wenn so etwas möglich wäre … wie hätte sie so schnell abhauen können, als du zur Tür reingestürmt bist? Hatte sie etwa Flügel?«
»Die verschlossene Tür … die kalte Luft …«
»Ich sag doch, die Tür klemmte bestimmt. Und natürlich war die Luft in Sandys Zimmer kälter als die auf dem Flur. Wahrscheinlich hatte sie das Fenster aufgelassen.«
Jules lehnte sich vor und legte seine Hand auf die von Kit. Es war eine freundliche Hand, warm und stark, mit langen, schlanken Fingern, und sie fühlte sich gut an.
Plötzlich war seine Stimme sanft. »Blackwood ist ein altes Anwesen, zweifellos großartig, aber die Atmosphäre ist etwas unheimlich. So ist das oft in solchen alten Häusern. Man muss sich langsam dran gewöhnen. Ich hatte auch Träume in den ersten Wochen, nachdem wir hier eingezogen waren.«
»Wirklich?« Kit war überrascht.
»Klar. Was hast du denn gedacht? Ich bin es nicht gewohnt, an einem Ort wie Blackwood zu wohnen. Ich hab gerade die Musikhochschule hinter mir. Bisher hab ich mir mit ein paar Typen eine Wohnung geteilt. Die Ferien hab ich bei meiner Mutter an ihren diversen Schulen verbracht, ansonsten habe ich so ziemlich mein eigenes Leben gelebt. Als sie schrieb und fragte, ob ich mit ihr nach Amerika kommen und an ihrer neuen Schule
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