Ein dunkler Ort
unterrichten wollte, war ich mir nicht sicher. Dann hat sie mir mehr über die Schule erzählt … wie besonders sie sein würde und welche Art Schüler sie haben würde … und da hab ich beschlossen, es mal zu versuchen.
Als ich Blackwood dann zum ersten Mal gesehen habe, traute ich meinen Augen nicht. Ich weiß immer noch nicht, wie meine Mutter es fertiggebracht hat, so einen Ort zu finden. Das Haus hat seine eigenen Vibrationen. Man muss sich erst mal dran gewöhnen.«
»Und du hast dich jetzt dran gewöhnt?«, fragte Kit.
»Ich mag das Haus. Ich fühl mich … anders hier. Ich spiele besser. Ich weiß Dinge mehr zu schätzen.«
»Und träumst du immer noch?«
»Na ja. Ab und zu. Jeder träumt.«
»Jules.« Kit versuchte ihn anzulächeln. »Bei dir klingt das alles so vernünftig und normal. Du musst mich für eine Irre halten.«
»Aber nicht doch«, sagte Jules leise. »Ich finde dich ziemlich klug. Und hübsch. Manchmal wünschte ich, ich wäre dir woanders begegnet, unter anderen Voraussetzungen. Wenn ich nicht dein Lehrer wäre … Aber …« Schnell drückte er ihre Hand und ließ sie wieder los, »wir müssen die Dinge nehmen, wie sie sind. Und im Augenblick ist es so, dass wir die halbe Unterrichtsstunde verquatscht haben. Bist du jetzt bereit, für mich zu spielen?«
»Besser wird’s nicht«, sagte Kit seufzend. »Wahrscheinlich hattest du nie eine Schülerin mit so wenig Talent wie ich es habe. Kommst du nicht um vor Langeweile, wenn du mich Stücke wie »Bunte Blätter« und »Der fröhliche Landmann« spielen hörst?«
»Ich langweile mich nicht«, sagte Jules. Und dann, nach einer Pause, senkte er die Stimme. »Du hast Talent, Kit. Vielleicht merkst du eines Tages, wie viel. Es gibt so viele Arten von Begabungen auf der Welt, Musik ist nur eine davon.«
SIEBEN
»Du, Kit, weißt du was? Ich hab ein Portrait von dir gezeichnet!« Lynda stand in der Tür zum Salon und drückte sich ein Blatt Papier an die Brust.
»Echt?« Kit schaute von ihrem Buch auf. »Lass mich mal sehen.«
In der Stunde vor dem Abendessen fanden sich die Mädchen meistens im Salon ein. Es war schön hier, das Licht war gut, die Möbel bequem und alles war ein ganzes Stück moderner als in den anderen Räumen von Blackwood. Normalerweise redeten sie oder guckten fern, aber heute Abend schien niemand besonders gesprächig zu sein. Kit und Ruth lasen und Sandy saß am Kartentisch und legte eine Partie Solitär.
Jetzt, bei Lyndas Eintreten, schauten sie alle auf. Lynda war hübsch und hatte etwas so Strahlendes, dass sie jeden Raum zum Leuchten brachte. Jetzt gerade wirkte sie auf so harmlose Weise zufrieden mit sich selbst, dass Kit lächeln musste.
»Komm, zeig mal her. Ich wusste gar nicht, dass du eine künstlerische Ader hast.«
»Ich auch nicht«, sagte Lynda und gab ihr das Blatt. »Ich hab mich wirklich selbst überrascht.«
Kit hielt die Skizze hoch, bereit, einen Witz drüber zu machen, aber dann schnappte sie verblüfft nach Luft. »Wow! Das bin ich ja tatsächlich!«
»Sag ich doch.« Lynda hockte sich auf die Sessellehne. »Gefällt es dir?«
»Aber hallo!«, sagte Kit. »Das … das ist unfassbar. Ich mein, ehrlich, Lynda, du bist ja fantastisch.«
»Das muss ich sehen.« Ruth stand von der Couch auf und stellte sich hinter sie. Eine Weile schwieg sie und dann sagte sie: »Das kannst du nicht gezeichnet haben, Lynda. Du musste es abgepaust haben oder so.«
»Hab ich nicht«, sagte Lynda beleidigt. »Ich hatte gerade ein bisschen geschlafen, und als ich aufgewacht bin, hatte ich plötzlich Lust, etwas zu zeichnen. Ich bin an den Schreibtisch gegangen, hab mir einen Stift und ein Blatt Papier genommen und mich hingesetzt – und hab das hier gezeichnet, einfach so. Und das Merkwürdige ist, ich wusste nicht mal, wer das werden würde, bis das Gesicht Kit immer ähnlicher wurde … und dann war es auf einmal tatsächlich Kit.«
»Aber du hast noch nie gezeichnet.« Ruth war skeptisch. »Du hast nie Kunstunterricht gewählt in der Schule. Diese Skizze … die ist so professionell. Die Augen … dieser herausfordernde Blick von Kit, haargenau getroffen, und der Mund, das Kinn, einfach alles. Das ist Kit, von oben bis unten. Das ist total professionell.«
Mittlerweile war auch Sandy rübergekommen, sie betrachtete das Bild.
»Du hast recht«, meinte sie. »Das ist echt gut. Würdest du auch eins von mir machen, Lynda? Ich möchte es meinen Großeltern schicken. Ich wette, sie lassen es rahmen.«
»Aber
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