Ein dunkler Ort
so verwirrt.
Tracy, bitte, bitte, schreib mir.
»Ich hab noch ein Gedicht geschrieben«, sagte Sandy.
»Oh?« Kit schaute ihrer Freundin nicht in die Augen, aber sie spürte, wie sich ihr Magen in nervöser Erwartung zusammenzog.
»Ich mach das nicht allein«, sagte Sandy. »Ellis hilft mir. Sie schreibt wunderbar. Sie hat sogar einen Roman veröffentlicht.«
»Sandy, bitte«, sagte Kit genervt. »Ich wünschte, du würdest aufhören, von dieser Frau so zu reden, als gäbe es sie wirklich.«
»Hör zu«, sagte Sandy. »Das gefällt dir vielleicht:
Im Wind, der aus dem Reich der Nacht herüberweht
Und Sternen, im Himmel einsam festgebannt
Suche ich Frieden.
Dem Tode möge unbekannt ich sein, in Ewigkeit vertan
wie Licht in Licht vergeht,
Jenseits des letzten Seufzers, der ein Echo fand.
Wo Mondlichtschemen im Moor den Sinn betören,
Ist’s trotz der Schatten, wo der Friede bleibt,
Wohin umsonst mich Friedenssehnsucht treibt.
Fänd ich nur einen Augenblick, wo Träume mich nicht stören.
Mehr will ich nicht …«
»Hör auf! Bitte, hör auf!« Kit hielt die Hand hoch. »Den Rest will ich nicht hören. Das ist krank. Das klingt, als wärst du tot.«
»Ich dachte, es würde dir gefallen«, sagte Sandy in einem verletzten Ton.
»Nein, das tut es nicht. Was ist denn los mit dir, Sandy? Wir haben doch immer so viel miteinander gelacht. Erinnerst du dich noch an die Witze, die wir uns erzählt haben, und wie wir geplant haben, die Laken in Ruths Bett umzukrempeln? Wir wollten auch nachts Party machen und haufenweise Essen für eine Mitternachtsorgie in mein Zimmer schmuggeln.«
»Hast du immer noch Lust dazu?«, fragte Sandy verwundert.
»Nein«, gestand Kit. Irgendwie hatten diese Pläne in der ersten Zeit in Blackwood so verheißungsvoll geklungen, jetzt wirkten sie kindisch und lächerlich. Sandy schaute auf das Gedicht in ihren Händen.
»Ellis findet es nicht besonders gut«, sagt sie. »Sie will nicht, dass ich es einem Verlag anbiete oder so. Sie meint, wir können es besser machen.«
»Du tust es schon wieder!«, unterbrach Kit sie genervt. »Du redest von dieser … Traum-Frau, als ob es sie echt gäbe.«
»Ist sie denn ein Traum?«, fragte Sandy. »Wenn sie mit mir redet, dann klingt das so vernünftig und richtig. Ich hab nachgedacht, Kit, erinnerst du dich noch daran, was Ruth gesagt hat? Dass wir alle zu verschiedenen Formen von außersinnlicher Wahrnehmung fähig sind?«
Kit nickte.
»Wenn ich nun meine Fähigkeit dazu benutze, mich auf jemanden einzustimmen, auf eine reale Person, die irgendwo auf der Welt lebt und deren Geist auf derselben Wellenlänge schwingt wie meiner … Wäre das unmöglich?«
»Du meinst, es gibt irgendwo tatsächlich eine Frau namens Ellis?«, fragte Kit ungläubig.
»Warum nicht? Sie muss sich ja nicht irgendwo hier in der Nähe aufhalten, nicht mal in diesem Land. Mir kommt es auch eher so vor, als würde sie gar nicht hier leben, ihre Art zu reden und ihre Anspielungen auf Moore und Eiben … vielleicht gibt es sie irgendwo anders, in England oder in Schottland möglicherweise.«
»So was geht doch nicht«, sagte Kit. »Menschen verständigen sich doch nicht durch Träume. Sie schreiben Briefe oder Mails, sie telefonieren …«
»Brüll doch nicht so«, sagte Sandy. »Mein Kopf tut schon weh. Ich kann das nicht erklären, Kit. Ruth ist die Expertin, wenn es um Wissenschaftliches geht. Ich weiß nur, dass Ellis für mich real ist, sie ist realer als jeder Traum sein könnte. Ob dir ihre Gedichte nun gefallen oder nicht, spielt keine Rolle. Ich mag sie, und ich bin froh, dass ich diejenige bin, der sie sie mitteilt.«
Ihr schmales Gesicht war hochrot vor Wut. Kit merkte, wie es in ihr zu brodeln begann.
»Du hörst dich an wie eine Zwölfjährige, die für einen Filmstar schwärmt! Nur dass du einen Filmstar wenigstens auf der Leinwand sehen kannst.«
»Halt die Klappe, tut mir echt leid, dass ich dir überhaupt von Ellis erzählt habe.«
»Du musstest es mir gar nicht erzählen. Ich hab gehört, wie du geschrien hast, weißt du noch? Da fandest du diese Superdichterin noch nicht so toll.«
Kit konnte nichts dagegen machen, sie schaffte es nicht, diese scharfe Bemerkung für sich zu behalten. »Es ist dieses Haus, dieses schreckliche Haus! Es macht etwas mit dir! Du bist schon fast so verrückt wie Lynda!«
Aber Sandy hatte sich schon umgedreht. Sie ging aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Erschöpft ließ Kit sich aufs Bett
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