Ein Earl kommt selten allein (German Edition)
wäre, die sie gewollt hatte. Sie hatte vielmehr gehofft, dass Richard sie dort in die Arme nehmen und küssen würde. Der Alkohol, den sie hinuntergestürzt hatte, wirkte sich ganz offensichtlich seltsam bei ihr aus. Sie hatte sich bei Dicky noch nie so gefühlt, nicht einmal in ihrer Hochzeitsnacht.
»Ja, ich musste ziemlich dringend gerettet werden. Danke«, murmelte sie unbestimmt und warf einen Blick zum Rand der Tanzfläche, wo Richard jetzt stand und ihnen mit brennenden Blicken folgte. Sie hatte das Gefühl, als könnte sie regelrecht eine Spur von Wärme ihren Körper entlanggleiten spüren, während sein Blick über sie wanderte. Dann wandte sie rasch den Kopf ab und sah Robert wieder an, der jetzt sprach.
»Es hat mich überrascht, aber auch glücklich gemacht zu sehen, dass er dich endlich an einem Ball teilnehmen lässt.«
Christiana äußerte sich nicht dazu. Genau genommen hatte Dicky sie nicht an dem Ball teilnehmen lassen. Allerdings konnte sie Robert auch nicht ohne Weiteres erklären, was an diesem Tag passiert war. Sie konnte ja noch nicht einmal sich selbst erklären, was in den letzten Augenblicken passiert war. Wie war es möglich, dass sich die grundsätzliche Ablehnung und Abscheu, die sie gegenüber ihrem Gemahl empfand, auf der Tanzfläche in Begierde verwandelt hatte?
Die Mischung aus Whisky auf leeren Magen und der Erschöpfung nach all den Ereignissen des Tages mussten sich miteinander verschworen haben, um sie zu verwirren und benommen zu machen, dachte sie … und sie
war
erschöpft. Alles in allem war es ein sehr anstrengender Tag gewesen, und er war nur noch anstrengender geworden, als Dicky auf dem Ball aufgetaucht war. Christiana hatte gerade angefangen, sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass sie ihn los war; sie hatte die kostbaren Stunden genossen, in denen sie sich keine Gedanken darüber machen musste, was Dicky sagen und tun würde. Und jetzt war er hier und am Leben und wohlbehalten, und sie fühlte sich auf einmal auf eine Weise zu ihm hingezogen, wie sie es noch nie zuvor erlebt hatte. Nicht einmal während der Zeit, als er um sie geworben hatte, hatte sie solche Gefühle empfunden. Sie hatte nie gewollt, dass er sie küsste oder näher zu sich heranzog, wie sie es jetzt während des Walzers erlebt hatte. Tatsächlich hatte sie nach und nach erkannt, dass die Gefühle gegenüber dem Mann, der ihr den Hof gemacht hatte, mehr den Tagträumen eines Kindes entsprachen als den Wünschen einer Frau. Damals hatte es Herzen und Blumen gegeben, und sie hatte auf kindliche Weise von einem leichten, luftigen Glück bis ans Ende ihres Lebens geträumt. Allerdings war die Anziehungskraft, die sie jetzt auf der Tanzfläche empfunden hatte, sehr viel ursprünglicher und körperlicher gewesen, und daher war sie jetzt verwirrt und sogar ein bisschen verängstigt. Sie hatte so etwas im Umgang mit ihm noch nie zuvor erlebt, aber er hatte ihr nach der Hochzeit ja auch nie Freundlichkeit und Besorgnis entgegengebracht, obwohl er bis dahin immer sehr charmant gewesen war. An diesem Abend war irgendetwas anders an ihm, und sie fragte sich, ob er sich vielleicht dadurch, dass er dem Tod so knapp entronnen war, irgendwie verändert haben könnte. Vielleicht hatte er das gemeint, als er gesagt hatte, dass er die Dinge jetzt anders sehen würde.
»Chrissy, irgendetwas an Dicky ist anders.«
Christiana blinzelte und blickte überrascht zu Robert hoch. Es war, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Bevor sie etwas sagen konnte, fügte er hinzu: »Ich spüre es seit einiger Zeit. Das ist nicht der Mann, mit dem ich zur Schule gegangen bin.«
Christiana runzelte die Stirn. Robert bezog sich nicht darauf, dass er heute anders war. »Inwiefern?«
»Wusstest du, dass ich dich in den letzten Monaten dreimal besuchen wollte und er mich jedes Mal abgewiesen hat?«
Sie verzog entschuldigend das Gesicht und gestand: »Ich weiß nur von zwei Malen, und auch das erst seit heute Morgen. Tut mir leid. Ich hoffe, du weißt, dass du für mich zur Familie gehörst und ich dich niemals –«
»Das ist unwichtig«, unterbrach er sie. »Der Punkt ist, dass der Richard Fairgrave, den ich gekannt habe, ganz und gar nicht wie dieser aufgeblasene Wichtigtuer ist, dem es die reinste Freude war, mich wegzuschicken. Ein solches Verhalten passt mehr zu seinem Bruder George.«
Sie wölbte die Brauen, als sie den Namen des Bruders ihres Gemahls hörte. George Fairgrave, der um wenige Augenblicke jüngere Zwillingsbruder,
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