Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
sie miteinander allein waren, sagte sie das ?
Ihre rechte Hand flog nach oben und legte sich wie von selbst auf ihren Mund.
„Anne“, raunte Lord Winstead und sah sie mit brennender Intensität an.
Nicht Miss Wynter. Anne. Er nahm sich Freiheiten heraus; sie hatte ihm nicht erlaubt, sie mit Vornamen anzusprechen. Doch sie brachte den Zorn nicht auf, von dem sie wusste, dass sie ihn hätte verspüren sollen. Denn als er sie eben Anne genannt hatte, war dies das erste Mal, dass sie das Gefühl hatte, es sei wirklich ihr Name. Acht Jahre lang war sie nun schon Anne Wynter, aber für die anderen war sie einfach immer Miss Wynter gewesen. In ihrem Leben hatte es niemanden gegeben, der sie Anne nannte. Keinen einzigen Menschen.
Sie war sich nicht sicher, ob ihr das bis zu diesem Augenblick überhaupt klar gewesen war.
Sie hatte immer gedacht, sie wollte wieder Annelise sein, in ihr altes Leben zurückkehren, in dem ihre größte Sorge gewesen war, was sie am Morgen anziehen sollte. Aber nun, da Lord Winstead ihren Namen geflüstert hatte, erkannte sie, dass sie die Frau mochte, die sie geworden war. Auch wenn ihr die Ereignisse, die sie an diesen Punkt geführt hatten, nicht gefielen, und auch die Furcht, George Chervil könnte sie eines Tages finden und vernichten, stets allgegenwärtig war, so mochte sie doch sich selbst.
Ein erstaunlicher Gedanke.
„Könnten Sie mich vielleicht ein einziges Mal küssen?“, flüsterte sie. Denn sie wollte es. Sie wollte einen Geschmack der Vollkommenheit, selbst wenn sie wusste, dass sie es dabei belassen musste. „Können Sie mich ein einziges Mal und dann nie wieder küssen?“
Sein Blick umwölkte sich, und sie befürchtete schon, er würde nicht antworten. Er hielt sich so steif, dass sein Kinn zitterte, und das einzige Geräusch, das zu hören war, war sein angestrengtes Atmen.
Enttäuschung stieg in ihr auf. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, eine solche Bitte an ihn zu richten? Ein Kuss und dann nichts mehr? Ein Kuss, wenn doch auch sie sich viel, viel mehr wünschte?
„Ich weiß nicht“, sagte er schlicht. Er blickte sie immer noch mit derselben unverwandten Intensität an, starrte sie an, als suchte er bei ihr Erlösung. Die Wunden in seinem Gesicht waren noch nicht verheilt, überall hatte er Schnitte und Abschürfungen und sein eines Auge war blau verfärbt, aber für sie war er in diesem Moment das Schönste, was sie je gesehen hatte.
„Ich glaube nicht, dass einmal ausreichen wird“, sagte er.
Seine Worte waren erregend. Welche Frau würde sich nicht wünschen, so begehrt zu werden? Aber die Vernunft, die Vorsicht rieten ihr, dass sie einen gefährlichen Pfad betrat. Sie hatte das schon einmal getan, hatte sich in einen Mann verliebt, der niemals vorgehabt hatte, sie zu heiraten. Der einzige Unterschied jetzt war, dass es ihr diesmal vorher klar war. Lord Winstead war ein Earl - zwar vor Kurzem in Ungnade gefallen, aber dennoch ein Earl, und bei seinem Aussehen und seinem Charme würde die Gesellschaft ihn bald wieder mit offenen Armen empfangen.
Und sie war ... was? Eine Gouvernante? Eine falsche Gouvernante, deren Lebensgeschichte im Jahr 1816 begonnen hatte, als sie seekrank und voll Angst aus einer Fähre stieg und den Fuß auf den felsigen Boden der Isle of Man setzte.
An jenem Tag war Anne Wynter geboren worden, und Annelise Shawcross ...
Sie war verschwunden. Hatte sich aufgelöst wie die Gischt des Ozeans ringsum.
Aber eigentlich spielte es keine Rolle, wer sie war. Ob Anne Wynter oder Annelise Shawcross - keine von beiden war eine passende Partie für Daniel Smythe-Smith, Earl of Winstead, Viscount Streathermore und Baron Touchton of Stoke.
Er hatte mehr Namen als sie. Es war beinahe komisch.
Aber nur beinahe. Seine Namen waren alle echt. Er durfte sie alle behalten. Und sie waren ein Zeichen seiner Stellung, teilten ihr unmissverständlich mit, warum sie nicht hier bei ihm sein und ihr Gesicht dem seinen zuneigen sollte.
Aber sie wollte es trotzdem. Sie wollte ihn küssen, wollte seine Arme um sich spüren, sich in seiner Umarmung verlieren, sich in der Nacht verlieren, die sie umgab. Weich und geheimnisvoll, voller Verheißungen ...
Was hatte eine solche Nacht nur an sich?
Er streckte einen Arm aus und ergriff ihre Hand, und Anne ließ ihn gewähren. Er verschränkte seine Finger mit den ihren, und obwohl er sie nicht an sich zog, fühlte sie eine überwältigende Sehnsucht, heiß und pulsierend. Ihr Körper wusste, was sie tun
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