Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Liebessommern kannte sie sich nicht aus. Arvid Lunde begann hinter Grace herzuspionieren, er folgte ihr, wenn sie Robby draußen spazieren fuhr. Eines Morgens stand er vor der Arztpraxis im Bogstadvegen und wartete. Sie kam heraus und blieb überrascht vor ihm stehen. Hallo, Arvid? Wie geht es dir? Gut, sagte Arvid. Sie lief weiter, er lief neben ihr her. Ich würde dich gern zu einem Drink einladen, sagte Arvid. Ich muss nach Hause, sagte sie, ich habe einen Babysitter für Robby. Ich verstehe, kann ich dich nach Hause begleiten? Sie lächelte und blieb stehen. Es tut mir leid, ich will dich nicht kränken, Arvid. Ich versuche nur, nett zu sein. Sie ging weiter. Arvid Lunde wartete, dann lief er hinter ihr her, blieb vor dem Haus in der Inkognitogate stehen. Dort stand er, bis er von Arnold Øvrebø entdeckt wurde, der herauskam und sich wunderte, was er im Gebüsch trieb. Suchen Sie sich was Eigenes, nicht wahr?, sagte Arnold Øvrebø.
Offen gestanden, wissen wir nicht, wie wir selbst reagiert hätten. Auf dem Weg nach oben bewältigt man alles, erst wenn es nach unten geht, wird man auf die Probe gestellt. Im Schmelzer schlug Henry Larsen vor, für Arvid Lunde im Steinpark von Odda ein Denkmal aufzustellen und in den Stein zu ritzen: IM GEDENKEN AN DEN GEFALLENEN. Jaklardoch präsentierte seine Theorie, wonach es für einen Menschen viel schwerer ist, eine Treppe hinunterzugehen als hinauf. Jaklardochs Sichtweise widerspricht natürlich der Schwerkraft wie auch seriöser Forschung, aber sein Körper war nach vielen Jahren der Schichtarbeit im Schmelzwerk kaputt, er hatte seit den Sechzigern die Chemikalien der Fabrik inhaliert, und seine Muskeln waren jetzt voller Dreck. So etwas bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Feinmotorik, so dass es tatsächlich wesentlich schwerer ist, bergab zu gehen als bergauf. Jaklardoch war der Meinung, so gehe es auch anderen, zumindest denen, die schon eine Weile auf der Welt waren und den Körper voller Schrott, Müll, Abfall und Schlacke hatten. Arvid Lunde zum Beispiel. Er war in Rekordzeit von einem Geldmann zu einem Schuldensklaven geworden. Jetzt musste Lunde bergab gehen, Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, und es musste dem Kerl in seinem ganzen verfluchten Körper weh tun, meinte Jaklardoch. Er behauptete, auf jeder Stufe nach unten würde man Vergleiche ziehen zu dem, was man oben hatte. Du willst also sagen, dass es Arvid Lunde schlechtgeht?, fragten wir. Ja klar doch, antwortete Jaklardoch.
Für Heiligabend war vereinbart, dass Arvid den ersten Teil des Abends mit Robby und Grace in der Inkognitogate verbringen sollte. Er wusch sich gründlich, rasierte sich den Bart ab, holte einen der alten Anzüge heraus. Er hatte Robby ein Spielzeugauto gekauft und erstand vom Rest des Geldes ein Paar Damenschuhe von YSL, die er Grace schenkte. Schlüpf mal rein, sagte er, nachdem sie sie ausgepackt hatte. Danke, Arvid, sagte sie, das solltest du doch nicht! Sie ging in den neuen Schuhen auf dem Wohnzimmerboden hin und her. Arvid bekam eine italienische Krawatte von Grace. Er knotete sie lose und hängte sie sich um den Hals. Er lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück und schloss die Augen, während Grace in der Küche den Weihnachtspunsch erhitzte. Robby spielte mit dem neuen Auto. Sie weckte Arvid sanft, als sie mit dem Punsch zurückkam, streichelte seine Wange. Wollen wir es nicht noch einmal probieren?, fragte Arvid, als er wach wurde. Bring mich nicht in Verlegenheit, sagte Grace. Sie sagte, sie bereue nur, dass sie den wahren Arvid Lunde nicht früher erkannt habe, sie habe in ihm etwas Größeres gesehen. Sie habe nur gesehen, was sie sehen wollte, sie habe nur gehört, was sie hören wollte. Das war der Fehler, das war unehrlich, so etwas konnte man ein paar Tage lang machen, ein paar Monate, zum Spaß, aber nicht ein paar Jahre. Es war so einfach, alle verhielten sich so, und es schien sinnlos, damit aufzuhören, wenn man erst einmal angefangen hatte. Jetzt siehst du also den wahren Arvid Lunde?, fragte er. Sie bat ihn, auf Robby aufzupassen, während sie duschte. Kriegst du noch Besuch?, rief Arvid hinter ihr her. Sie drehte sich um und sah ihn an. Deine Socken passen nicht zum Anzug, sagte sie und ging ins Bad. Das Telefon klingelte, während sie im Bad war. Arvid nahm den Hörer ab, meldete sich aber nicht. Hallo, sagte eine Männerstimme am anderen Ende. Ist Grace da? Arvid gab keine Antwort. Hallo?, sagte der Mann. Ist Grace da?, fragte der Mann. Arnold?,
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