Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
Jan sieht auf die Uhr und sagt, es sei spät. Er steht auf und fragt, ob er für mich das Bett im Gästezimmer beziehen soll. Ich sage, gern, ich bleibe noch einen Moment hier sitzen. Jan kommt zurück ins Wohnzimmer und sagt gute Nacht. Ich sehe ihm an, dass er eine Abneigung gegen mich hat. Mein eigener Sohn hat eine Abneigung gegen mich. Die Leute in Åsane haben mich geliebt, aber während ihrer ganzen Kindheit müssen meine Söhne eine Abneigung gegen mich gehabt haben. Als sie erwachsen wurden, wollten sie weg. Es war das einzige Ziel ihrer Kindheit, sie wollten groß werden und aus Åsane wegziehen, weg vom Laden, weg von mir. Sie kappten das Band, so schnell sie konnten, um ihr Leben ohne mich zu leben. Mir wird bewusst, dass ich noch nie ohne Marny bei Jan und Solveig war, und ohne Marny bin ich nur ein Mann, den mein Sohn wieder loswerden will, damit sein Leben weitergehen kann wie jeden Tag, wie an allen Tagen und Nächten, an denen ich zum Glück nicht hier bin.
Kaum im Gästezimmer, schlafe ich ein, es muss der Wein sein, der mich so müde macht, ich wache früh auf und habe von Ellen Reiss geträumt. Im Traum liegt sie auf dem Bauch und ich liege auf ihr wie ein Frosch. Ellen Reiss hat ein großes Muttermal zwischen den Schulterblättern, und am Ende bin ich erfolgreich. Wir verschmelzen in einer kraftlosen Umarmung. Mir wird klar, dass ich eigentlich von Marny geträumt habe. Marny hat ein solches Muttermal. Als wir frisch verheiratet waren, haben wir gern über dieses Muttermal gescherzt. Ich behauptete, es sei direkt mit ihrem Gefühlsleben verbunden. Wenn ich hier drücke, sagte ich, können wir loslegen. So leicht ist es nicht, protestierte sie. Aber es wurde zu einem Geheimcode zwischen uns. Ich drückte auf ihr Muttermal, wenn ich Lust auf sie hatte. Manchmal liebten wir uns, andere Male lagen wir nur eng aneinandergeschmiegt. Später wollte sie sich das Muttermal entfernen lassen, obwohl der Arzt es für völlig ungefährlich hielt. Ich protestierte. Das Muttermal war Teil unserer gemeinsamen Geschichte. Sie konnte es nicht einfach entfernen lassen. Ich sagte zu ihr: Wie soll ich dich ohne das Muttermal scharf kriegen? Im Fotoalbum gibt es ein Bild von Marny und mir von 1952. Wir wollen unsere Hochzeitsreise antreten. Der Blitz erhellt den Saab von der Seite, wir brechen mitten in der Nacht auf, fahren gleich nach der Feier los. Ich habe einen Arm um Marnys Schulter gelegt, eine Zigarette zwischen den Fingern. Das Seitenfenster ist heruntergelassen, ich muss etwas Lustiges gesagt haben, denn Marny hat den Kopf leicht nach hinten gelegt und lächelt. Wir wollen nach Balestrand, mit der ersten Fähre über den Sognefjord und uns im Kviknes Hotel ein Zimmer nehmen. Ach, Marny. Ich erinnere mich an dein Sommerkleid, dein weißes Kleid, mit dem du dich von allen anderen abgehoben hast. Natürlich interessierte mich vor allem, was sich unter deinem Kleid befand, aber ich konnte meine Absichten nicht verraten, bevor ich nicht in der Lage war, mich mit den Dingen unter dem weißen Sommerkleid zu beschäftigen. Auf dem ganzen Weg nach Balestrand habe ich das Muttermal gestreichelt. Marny hatte sich vor der Abfahrt umgezogen, und das weiße Kleid gab die Haut und das Muttermal zwischen den Schulterblättern frei. Als wir nach Balestrand kamen, küsste ich das Muttermal, bevor ich in der verblüffenden Landschaft unter ihrem Kleid auf Entdeckungsreise ging. Ach, Marny, ich habe vierundzwanzig Jahre lang von dir geträumt, bevor ich dir begegnet bin, habe dich vierundzwanzig Jahre lang vermisst, bevor ich dich entdeckt habe. Marny, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht dafür dankbar bin, dass ich dich gefunden habe. Weißt du noch? Ich stand vor dem Friseursalon in Bryggen, sah dich drinnen arbeiten und war eifersüchtig auf alle Männer, die kamen, um sich von Marny Kolås die Haare waschen und schneiden zu lassen. Vor unserer Hochzeit konnten wir nirgendwo hingehen, ich wohnte zu Hause, Marny auch. Wohin sollten wir gehen? Wir wollten am liebsten all das machen, was man macht, wenn potentielle Schwiegereltern nicht zugegen sind. Also holte ich Marny im Salon ab, wenn sie Feierabend hatte, wir machten lange Spaziergänge über den Fjellveien, blieben alle hundert Meter stehen, küssten uns und nahmen uns in den Arm. Ich erinnere mich an das Geräusch von Regen auf dem Schirm. Bergen war für frisch Verliebte noch nie der richtige Ort, aber wir stellten uns unter das Kioskdach an der Seilbahn, standen
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