Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
bestrafen musste. Außerdem hat sie ihn auch getreten. Und sieh dir Kamprad jetzt an, stinkend und schnarchend im oberen Bett, so gut wie unverletzt, voller Burger und in meinen Kleidern. Ich lege Ebba wieder die Hand auf die Schulter. Sie dreht sich zu mir um. Verdammt, Sie sind ja verwirrter als ich, sagt sie. Die Erwachsenen tun so, als wüssten sie alles viel besser als wir, dabei wissen sie gar nichts, sagt sie. Du hast recht, sage ich leise. Ebba sieht mich an. Ich weiß nichts, sage ich. Sie nimmt mich in den Arm. Ich spüre den dünnen Körper an meiner Brust, und mir wird bewusst, dass sie, wenn ich jetzt etwas falsch mache, zerbrechen wird. Du kannst hier nicht bleiben, Ebba. Du bist so jung, sage ich, du hast deine Chancen noch nicht genutzt. Du sollst das Leben genießen und mit Jungen zusammen sein. Was sind Sie blöd, sagt sie. Sie zieht die Nase hoch. Ich hole meine Decke und breite sie über Ebba. Morgen fahre ich dich nach Hause, sage ich. Wenn Sie das wollen, antwortet sie. Ja, sage ich. Das will ich. Dann bleibe ich hier. Ich schüttle den Kopf. Sie lächelt mich an, dreht sich dann zur Wand. Gute Nacht, höre ich Ebba sagen.
Ich lege mich wieder ins Bett. Es muss der dritte oder vierte Tag dieses Irrsinns sein. Ich habe den Überblick verloren. Ich versuche, Schlaf zu finden, habe aber die falsche Position. Mal liege ich auf dem Bauch, mal auf dem Rücken. Ich frage mich, ob das Problem für diesen Beruf typisch ist. Entführen bedeutet vor allem Warten, der größte Teil einer Entführung spielt sich tatsächlich in der Waagerechten ab, und als Berufsgruppe müssen Entführer vermutlich entsprechende Muskeln ausbilden und an Strategien feilen, die mit dem Finden der richtigen Liegeposition zu tun haben. Weit unten spüre ich Füße. Ich spüre Beine unter mir, den Bauch in der Mitte, etwas weiter nördlich die Brust, Arme, Finger. Alles pocht und schmerzt, atmet vor Kälte. Mein Kopf hingegen ist glühend heiß. Der Kopf ist immer noch da, er klebt an den Ohren. Mein Kopf wird das Letzte sein, was stirbt. Ich wünschte, es wäre ein normaler Tag mit normaler Routine. Aufstehen, duschen, Frühstück machen, in den Laden gehen. Aber ich weiß, dass es heute zwischen all diesen Kiefern einen Epilog für mich gibt. Ich muss nur zeigen, dass ich die Sache zu Ende bringen kann. Setz das Gelernte um, Harold, denke ich. Mach die Sache klar. Selbst ein halbwegs talentierter Verkäufer meistert die ersten drei oder vier Phasen eines Verkaufs, er kann die Aufmerksamkeit eines Käufers auf sich ziehen, Interesse wecken, den Kunden davon überzeugen, dass dieses Produkt nützlich ist. Nur die Besten schließen den Verkauf mit einer Unterschrift auf der gestrichelten Linie ab.
In aller Herrgottsfrühe geschieht das Wunderbare. Im Fernsehen zeigen sie Archivaufnahmen von Ingvar Kamprad. Jetzt kommt es. Gott sei Dank, jetzt kommt es. Ich setze die Brille auf und stelle den Ton lauter. Ich habe trotz allem die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass mein Fall Interesse weckt. Ich habe vor mir gesehen, wie sie mich eines Tages an die Oberfläche holen. Bisher bekamen die Leute über IKEA nur Lügen aufgetischt. Jetzt bricht die Zeit der Wahrheit an. Die Aufnahmen zeigen einen etwas jüngeren Kamprad als den, der über mir im Bett liegt. Er hat mehr Haare, strolcht aber mit derselben Brille umher, deren linkes Glas jetzt einen Sprung hat. Die Aufnahme ist grobkörnig und unscharf, als wäre Kamprad ein Verbrecher, der heimlich gefilmt wird. Ich lasse mir nichts entgehen. Der Mann im Studio sagt, Kamprad sei vermisst gemeldet. Die Polizei habe Anlass zur Annahme, dass es einen kriminellen Hintergrund gebe. Oben im Bett wacht Kamprad auf, er greift nach seiner Brille. Und grinst. Die Polizei gehe davon aus, dass Kamprad entführt worden sei, sagen sie. Es klingt so, als wäre Kamprad tot, als bereitete sich die Nation darauf vor, um ihren verlorenen Sohn zu trauern. Etwas später in der Sendung folgt eine Kavalkade über sein Leben. Bilder des großen Möbelhändlers rollen über den kleinen Bildschirm. Sie sagen, die Schweden hätten den einfachen Leuten ein Zuhause gebaut, aber Ingvar Kamprad habe es möbliert.
Ich schaue zu Kamprad hoch und sehe, dass er bester Laune ist. Er ist ganz aufgeregt, weil er sich selbst im Fernsehen sieht. Das hier weckt viele schöne Erinnerungen, sagt Kamprad. Im Fernsehen sind sie mittlerweile bei den Höhepunkten der gestrigen olympischen Wettkämpfe angelangt. Wie absurd. Unser
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