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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

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Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
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hatte sich im Chor hitziger Westnorweger überhaupt nicht abgehoben. Die Busse waren am Sonntagabend gegen sechs Uhr in Oslo angekommen. Viele hatten keine Unterkunft, wohl aber die Erlaubnis, im Restaurant und Gästehaus Kampen zu übernachten. Der Gasthof gehörte einem gebürtigen Oddaer, der ihn in den Siebzigern unter dem Namen Villa del Campo betrieben hatte. Damals war das Haus wohl ein ordentliches, altmodisches Bordell. Jetzt hatte der Besitzer es renoviert, nichts war mehr wie früher, und alle hielten das Lokal für perfekt. Kampen, der Kampf, was für eine herrliche Metapher für den Kampf gegen die konservativen Kräfte, der jetzt mit einem Sieg gekrönt werden sollte. Als die Demonstranten endlich ankamen, zeigte sich, dass die Achtziger den Siebzigern sehr ähnlich waren, der Ausschank war so streng wie immer, die Klientel hatte sich kaum verändert, falsche Blondinen versuchten, mit engagierten Oddaern und Tyssedalern anzubandeln. Das ließ die Frauen der Kommunistischen Arbeiterpartei einschreiten, sie räumten das Lokal mit dem Schlachtruf: WIR LEBEN IM PATRIARCHAT!
    Später bezogen sie die Betten und verteilten die Plätze, schmierten Brote und kochten Kaffee. Dabei betonten sie das Paradoxe ihrer Handlungen, weil sie das Bild, dass Frauen fürsorglicher und kommunikativer seien und sich vorschriftsmäßig aus Arenen heraushielten, in denen die Produktivität stattfand, unterstrichen, was aber nicht bedeutete, dass man Talente, die man hatte, brachliegen lassen sollte bzw. dass die Sache manchmal wichtiger war als die individuelle Handlung. Nachts diskutierten sie Schlagworte und machten aus weißen Tischtüchern Banner. Bei einigen Schlagworten waren sie sich einig: BONDEVIK – WILLST DU WILLOCH RETTEN ODER TYSSEDAL? Andere wurden diskutiert. WER SIND HIER DIE VERBRECHER?, sorgte für Streit, viele hielten die Botschaft für unklar, denn was war der eigentliche Sinn dahinter? Ein Banner erhielt Standing Ovations: SIE NEHMEN UNS UNSER TÄGLICH BROT! Sie werden schon sehen, mit wem sie sich anlegen!, brüllte einer der Anführer der Demonstration. Das werden sie schon sehen, verdammt! Die werden sich noch wundern. Wir werden es den Politikern zeigen, die unseren Kindern die Butter vom Brot nehmen. Am Ende werden sie richtig Schiss haben und uns auf Knien anflehen, dass wir weiter Aluminium produzieren, sie werden bitten und betteln, please, please, pleeeeaase , macht etwas Aluminium! Ein Typ, der in Røldal zugestiegen war und den niemand von den anderen Fahrgästen kannte, hatte mit schwarzer Tusche Folgendes auf ein kleines Schild geschrieben: LEGT DEN GANZEN MIST STILL. Er hielt das Schild hoch, als er fertig war, und lachte, dass es im Gästehaus Kampen nur so schepperte. Leute kamen näher, einer der Kommunisten stieß den Røldaler an, he, was soll das? Den ganzen Mist stilllegen? Was willst du damit sagen? Der Røldaler antwortete, der Industrieminister habe recht, man solle die Aluminiumfabrik lieber früher als später stilllegen. Kapierten sie das denn nicht? Die Hardangerregion verkam zu einem Bestattungsunternehmen, man musste auf den Tourismus setzen, nicht auf Rauch und Dreck und Abgase. Das Industriemärchen ist bald Geschichte, meinte der Røldaler. Er stand auf und hielt das Schild in die Höhe, der Typ hatte heftig Schlagseite, das sahen alle. Die Kommunisten begannen ihn auszufragen, wer er denn sei, warum er überhaupt mitgekommen sei, ob er eine Art Überläufer sei? Der Røldaler grinste und erzählte, er habe eigentlich nur einen Ausflug nach Oslo machen wollen, dafür fehlte ihm aber das Geld, eine Gratisreise war daher für ihn perfekt. Der Vorsitzende der Elektrochemischen Arbeitergewerkschaft zog den Røldaler zur Fahne und fragte, ob er lesen könne, was da stehe. Nein, dazu bin ich zu besoffen, kicherte der Røldaler. Unter dem Emblem einer aufgehenden Sonne stand: EINIGKEIT IST UNSERE STÄRKE. Siehst du das?, fragte der Vorsitzende. Ja, doch, sieht gut aus, sagte der Røldaler. Plötzlich rammte der Gewerkschaftsvorsitzende ihm das Knie in den Schritt. Schande über dich, sagte der Vorsitzende und verließ den Raum. Der Røldaler blieb minutenlang auf dem Boden liegen, das Gesicht in den Händen vergraben, bevor er aufstand und aus dem Restaurant und Gästehaus Kampen wankte.
    Der nächste Tag war heiß und wolkenlos. Schon am frühen Morgen standen die Leute aus Hardanger vor dem Parlamentsgebäude. Die Elite des Landes musste ein Spießrutenlaufen durch die

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