Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
Vom Netzwerk:
wichtigen Sitzung. Arvid Lunde sah nicht aus wie ein Mann der Arbeiterpartei, absolut nicht, man konnte gern in Anzug und Krawatte herumlaufen, wenn man ein ehrgeiziger Bürgermeisterkandidat war oder als fester Volksvertreter oder Stellvertreter ins Parlament gewählt wurde, aber Arvid Lundes Äußeres ähnelte verdächtig dem der Ingenieure und Angestellten, die ins Verwaltungsgebäude der Oddaer Fabriken schlenderten. Dieser Gebäudetyp befand sich stets außerhalb von Toren und Zäunen, so dass der Direktor und sein Stab während der Arbeitszeit unbehelligt essen gehen oder private Besorgungen machen konnten. Die Arbeiter hingegen mussten stempeln, wenn sie kamen und wenn sie gingen, um 6:00 Uhr, um 14:00 Uhr und um 22:00 Uhr. Die Stempeluhr sei ein Beitrag zur Allgemeinbildung, antworteten die Direktoren, wenn die ungerechte Regelung angeprangert wurde, Stempeln sorge für gute Manieren und anständiges Benehmen. Sie waren offensichtlich der Meinung, sie selbst hätten sich diese Eigenschaften bereits angeeignet, da sie weder beim Kommen noch beim Gehen stempeln mussten. Die Arbeiter hatten auf dem Fabrikgelände zu bleiben, solange sie bei der Arbeit waren, ansonsten kam es zu Lohnkürzungen und einer Verwarnung seitens des Personalchefs. Den ganzen Tag waren die Arbeiter hinter hohen Stacheldrahtzäunen eingesperrt. Der Zaun war nicht da, um Diebe abzuhalten oder unerwünschte Elemente am Betreten des Geländes zu hindern, seine einzige Aufgabe bestand darin, die Arbeiter drinnen zu halten, das war daran zu erkennen, dass die Spitze des Zauns auf das Fabrikgelände gerichtet war, nicht auf die Stadt. Aber die Arbeiter wussten, wo sich die Löcher befanden, sie schlüpften durch den Zaun, um sich in der Arbeitszeit ein Bier zu genehmigen oder alte und neue Flammen zu treffen, von denen keiner wissen sollte. Ein stillschweigendes Abkommen zwischen Führung und Arbeitern besagte, dass die Leute durch die Löcher schlüpfen konnten, so oft sie wollten, Hauptsache, die Räder drehten sich. Bist du bei der Arbeit?, fragten die Oddaer, man konnte nie wissen, es gab keine reale Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Die Arbeiter schlüpften durch die Löcher wie Rotfüchse, viele konnten während der Arbeit private Besorgungen machen, die Veteranen liefen auch in der Freizeit in Arbeitskleidung herum, die Klamotten waren praktisch und unempfindlich. Der Job war dein Leben, dein Leben war der Job. Aber Arvid Lunde mit seinem Anzug und seinem Mantel gehörte zur Mittelschicht. Allen, die an diesem Novemberabend am Tisch des Gerichtsgebäudes saßen, war klar, dass er der falsche Mann im falschen Stockwerk war. In Odda kann man durchaus aufsteigen. Völlig klar, dass ein Fußballtalent mit den Besten spielen muss und dass ein guter Schüler ins Land hinaus muss, um eine renommierte Universität zu besuchen, aber die Reise in die andere Richtung ist nahezu unmöglich. Man wird zumindest auf Misstrauen stoßen, wenn man es versucht. Warum?, hatte der Bürgermeister an jenem Novemberabend gefragt. Arvid Lunde hatte sich geräuspert: Weil nur die Arbeiterpartei über ausreichend politische Kraft verfügt, um für die Werte zu sorgen, die es uns erlauben, den Wohlfahrtsstaat aufrechtzuerhalten. Bürgermeister Stensland lehnte sich zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und sah sich um. Während er wartete, entlockte er den Parteigenossen ein Lächeln. Dann sind Sie also ein Mann der Arbeiterpartei?, fragte der Bürgermeister. Arvid Lunde antwortete, er fühle die Verpflichtung, einen positiven Beitrag zu leisten. Sie sind doch Lehrer, stimmt’s?, fragte Stensland. Sollten Sie nicht links wählen? Doch, aber mir ist bewusst, dass die Fabrikarbeiter die Lokalgesellschaft auf ihren Schultern tragen. Alles, was hier aufgebaut wurde, ist der Industrie und den Arbeitern zu verdanken. Lundes Hemd klebte an seinem Körper, er senkte den Kopf. Der Bürgermeister blickte ihn skeptisch an. In den letzten Jahren waren die Bewohner von Odda immer wieder von Mittelschichtstrotteln genervt worden, die sich plötzlich in den Kopf gesetzt hatten, wie das Fußvolk zu sein, sie brauchten etwas Dreck unter den Nägeln und etwas Öl im Gesicht. Das hatte etwas Rührendes, aber wenn man die Fabriken denjenigen überantwortete, die nur die theoretischen Produktionsprozesse kannten, würden garantiert in null Komma nichts die Bänder stehenbleiben. Im Schmelzhaus würde die Schmelze überlaufen, es gäbe verstopfte Rohrstraßen bei den

Weitere Kostenlose Bücher