Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Weihnachtsgeschenk.
»Wo sind Sie?«, zischte Rebus und stampfte mit den Füßen auf. Er stopfte die Hände tiefer in die Taschen und ging noch einmal die Standbuchten ab.
»Setzen Sie sich«, sagte eine Stimme.
Rebus sah auf die Gestalt hinunter. Er hatte gedacht, der Mann schlafe, wie er da mit verschränkten Armen und hängendem Kopf das Gesicht zwischen seinen Jackenaufschlägen verbarg. Er saß vor der letzten Bucht. Darin stand ein Bus, aber mit ausgeschalteter Beleuchtung.
Rebus setzte sich. Der Mann hatte fettiges braunes Haar, das ihm über ein Auge fiel, und war unrasiert. Unter seinem rechten Auge befand sich eine kleine Narbe, nicht mehr als eine schmale Kerbe. Die Augen waren stechend blau und von langen Wimpern beschattet. Als er sprach, sah Rebus, dass ihm ein Schneidezahn fehlte.
»Geld.«
»Sie sind Ricos Freund?«
Der Mann nickte. »Geld«, wiederholte er.
Rebus zeigte ihm zwei Zwanziger und reichte sie ihm dann. »Er sagte, die Hälfte ist für ihn.«
»Er kriegt die Hälfte.« Er sprach mit einem schleppenden
Westküstenakzent. »Sie wollen was über Saughton wissen?«
»Ein Mann hat sich mit einer Schrotflinte erschossen. Er war frisch aus Saughton raus.«
»Wo da?«
»Block C.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Dann kann ich Ihnen nich helfen.«
Ein Fahrer war mit der Kasse in der Hand zum Bus gekommen, öffnete die Tür, stieg ein und schloss sie hinter sich. Im ganzen Bus gingen die Lichter an.
»Was meinen Sie damit?«
»Genau das, was ich sage. Ich kann Ihnen nich helfen.«
Der Motor sprang an und erbrach eine Abgaswolke. Ein paar Leute hatten sich angestellt und überlegten sich sichtlich, ob sie sich nicht an den zwei sitzenden Pennern vorbeidrängeln sollten.
»Warum nicht?«
»Ich kannte niemand aus Block C.« Der Mann stand auf, Rebus mit ihm. »Das ist mein Bus.«
»Moment noch.«
Der Mann drehte sich zu ihm um. Die Bustür öffnete sich, die Leute hinter ihm hatten es eilig, ins Warme zu kommen. »Fragen Sie Gerry Dip.«
»Gerry Dip?«
»Er war in Block C, ist seit ein paar Wochen raus.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Beim Bratfischdippen, da hat er ja seinen Namen her.« Der Mann trat an die offene Bustür. »Ich hab gehört, er arbeitet in einem Chips-Laden auf der Easter Road.«
Die Chips-Shops in Schottland waren am vollsten, wenn die Pubs sich geleert hatten. Selbst in den miesen, denen mit grätigem Fisch und gummiartigem Backteig, standen
die Leute Schlange. Rebus warf im zweiten Chips-Shop, bei dem er es versuchte, einen Blick auf die ausgestellten Waren und beschloss, hungrig zu bleiben.
Die Schlange reichte bis fast auf die Straße, aber er ging nach vorn, ohne sich um die empörten Blicke zu kümmern. Am Tresen bediente ein junges Mädchen, dem vor Konzentration der Mund offen stand.
»Salz und Soße?«, fragte sie den Kunden.
»Ist Gerry da?«, fragte Rebus.
Sie nickte ladeneinwärts. Ein Stück weiter stand hinter dem Tresen ein kleiner Mann, der Fischstücke in Ausbackteig dippte, bevor er sie in die Friteuse warf.
»Gerry?«, fragte Rebus. Der Mann schüttelte den Kopf und zeigte zum hinteren Ende des tunnelartigen Lokals, wo ein sehr großer, sehr dünner junger Mann mit einer weißen Baumwollschürze am Videogerät spielte.
Es war eins dieser Hau-drauf-Games, bei denen der Gegner nur eben lang genug ins Bild kommt, um vom knurrenden Cartoon-Helden aus dem Weg geräumt zu werden.
»Gerry Dip?«, fragte Rebus.
Der Spieler war Mitte zwanzig und hatte kurz geschorenes schwarzes Haar und einen Nasenstecker. Auf seinen nackten Armen prangten Tattoos, und mehr davon waren auf den Handrücken zu sehen. Am rechten Handgelenk hatte er eine eintätowierte Armbanduhr, deren Zeiger auf zwölf standen. Rebus sah auf seine eigene Uhr und stellte fest, dass Gerrys auf die Sekunde genau ging.
Rebus bemerkte, dass Dip ihn im spiegelnden Game-Monitor beobachtete. »Gibt nicht viele, die mich so nennen«, sagte er.
»Ich bin ein Freund eines Freundes - von jemandem, den Sie in Saughton kannten. Er meinte, Sie könnten mir vielleicht helfen. Ein Drink würde dabei rausspringen.«
»Ein wie großer Drink?«
Rebus war an einem Geldautomaten gewesen. Er legte einen druckfrischen Zwanziger auf die Spielkonsole. Vielleicht beeinträchtigte er Dips Konzentration. Eine Landmine riss seinem Helden Arme und Beine ab. Die Game-Over-Anzeige leuchtete auf, und eine digitalisierte Stimme sagte: »Gib... Geld... Ich... leer.«
Gerry Dip strich den Schein ein.
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