Ein Elefant im Mückenland
einer Astga-bel ein kleines Vogelnest mit Jungen befand, die sie interessant und offenbar schmackhaft gefunden hatte, aber dann hatte sie sich nicht wieder hinuntergetraut. So ergeht es Katzen oft, in ihrer Beutegier denken sie nicht an die Gefahren des Rückweges.
Leo geriet in Sorge, wollte sich der Elefant etwa seine einzige Freundin einverleiben? Lucia beruhigte ihn: Elefanten fressen keine Katzen. Emilia führte Gutes im Schilde, sie streichelte das verängstigte Tier mit ihrem Rüssel, und es war zu sehen, dass die Katze keine Angst vor ihr hatte, vielmehr langte sie mit ihren Tatzen nach Emilias feuchter Rüsselspitze. Die Katze vertraute ganz offenbar dem großen Wesen, auch wenn diese Begeg-nung ganz neu für sie war.
»Hol sie runter«, kommandierte Lucia. Emilia begriff, was von ihr erwartet wurde, sie schlang sanft den Rüs-sel um die Katze, setzte sie vorsichtig ab und ließ sich wieder auf alle viere nieder. Leo nahm seine Gefährtin, die er lange vermisst hatte, auf den Arm und trug sie in die Hütte, dort bekam die hungrige Tiina warme Milch. Schließlich gingen alle schlafen, Lucia und Paavo in Emilias Sattel, Leo mit seiner Katze in die Saunakam-mer.
In der Nacht zog ein schweres Gewitter auf, es blitzte und donnerte fast bis zum Morgen. Emilia stand voll-kommen ruhig auf ihren Säulenbeinen, obwohl ein ungeheurer Sturm tobte. Auf den Baldachin prasselte der Regen nieder, viel fehlte nicht, und er wäre unter den Wassermassen eingebrochen. Mehrmals schlug ganz in der Nähe der Blitz ein. Gegenüber am anderen Seeufer glänzte ein felsiger Berg hell wie im Tageslicht. Lucia schmiegte sich eng an Paavo. Beide hatten das Gefühl, als würde der Blitz jeden Moment in den Elefan-ten einschlagen und sie allesamt verbrennen. Am Mor-gen wachten sie erleichtert auf, sie hatten überlebt. Leo Valkama kam mit seiner Katze aus dem Haus. Erst jetzt sahen sie, dass der Blitz in die große Uferbirke einge-schlagen hatte, eben jene, in der Tiina gehockt hatte. Die Baumkrone war gespalten, vom Vogelnest keine Spur mehr.
Nach dem Frühstück rüsteten sich die Reisenden zum Aufbruch. Leo schluckte und schlug leise vor:
»Bleibt noch, wenigstens für eine Woche. Ich fühle mich so verlassen.«
Lucia und Paavo schüttelten dem stillen Mann die Hand, Lucia umarmte ihn, und Paavo streichelte Tiina, die unter seinen Händen schnurrte. Emilia legte den Rüssel auf Leos Schulter. Dann zogen sie los. Auf dem U-Boot-Bauplatz blieb ein einsamer Mann mit einer Katze im Arm zurück, ein Mann, den die Rezession in Depressionen und Wahn gestürzt und der keine Freun-de hatte. Er hatte nur seine Katze und seinen großen Traum.
Emilia erkannte Valkamas traurige Einsamkeit, sie kam zurück, nahm ihn sanft in den Rüssel und gab Lucia und Paavo zu verstehen, dass auch Männer Her-dentiere sind. Sie wollte, dass Leo in ihren Sattel stieg.
»Ich kann nicht weg, ich habe die Katze und das U-Boot.«
Paavo erzählte Lucia, dass er vor Jahren einen Bullen gehabt hatte, der sich von der Kuhherde verirrt hatte und anderthalb Monate ganz allein draußen gewesen war. Während der Elchjagd hatten ihn die Jäger ent-deckt und natürlich verschont. Als der Bulle seinen Herrn gesehen hatte, hatte er ihn abgeleckt.
»Aber zur Jungfernfahrt kommt ihr!«, rief ihnen Leo noch mit gebrochener Stimme nach. Emilia stapfte über die von leeren Fässern gesäumte Straße.
EMILIA VERSCHLINGT HUNDERT KILO FAULE ÄPFEL
Anfang Juli befanden sich Lucia, Paavo und Emilia bereits tief im Inneren von Häme, in der Nähe von Tampere. Nach dem Aufbruch von Leo Valkamas U-Boots-Werft waren sie den ganzen Abend und die Nacht hindurch gewandert und erreichten ihr neues Ziel früh am Morgen. Jetzt, mitten im Sommer, waren die nächtli-chen Wanderungen sinnvoll: Nachts war es kühl, und Mensch und Tier wurden nicht von Mücken und Brem-sen geplagt. Nachts waren auch keine neugierigen Leute unterwegs, die beim Anblick des Elefanten seine riesige Größe bestaunten und wissen wollten, wohin er unter-wegs war, von wo er stammte und so weiter. Zum Glück waren noch keine Journalisten aufgetaucht. Emilias Wanderung hatte zwar lokal für Aufsehen gesorgt, aber nicht landesweit.
Zu einer Tankstelle in Nokia hatte Kaufmann Taisto Ojanperä mit seinem Lieferwagen als eine Art Geschenk für Emilia hundert Kilo Äpfel gebracht. Er hatte sie umsonst bekommen, denn sie waren verschrumpelt, sodass er sie nicht mehr in seinem Laden anbieten konnte. Die Ladenbetreiber im
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