Ein Elefant im Mückenland
II sollte in den nördlichen See-gebieten als fahrendes und im Bedarfsfalle auch tau-chendes Museum für Unterseeschiffe unterwegs sein. Es sollte in seinem Inneren Fachliteratur, Fotos, Tonträger und andere museale Gegenstände bergen, und oben-drein sollten noch Bänke für zwanzig Gäste aufgestellt werden, sodass man sich gegebenenfalls auf dem Mee-resgrund Vorträge anhören könnte.
»Aber wie sollen denn auf einen Schlag so viele Men-schen hineinpassen?«, wollte Paavo wissen.
Leo erklärte, dass es sich um Museumstätigkeit in Friedenszeiten handle und somit keine Waffen erforder-lich seien.
»Vesikko war mit fünf Torpedos, jeweils mehr als ei-nen halben Meter dick, ausgestattet, und auf Deck befanden sich eine Zwanzig-Millimeter-Schnellfeuerkanone vom Typ Madsen sowie ein schwe-res Maschinengewehr. Ich brauche keine Torpedos, keine Schnellfeuerkanone und kein Maschinengewehr, auch keine Geschosse und keine Abschussvorrichtun-gen. Mein Boot dient friedlichen Zwecken. An den Zeichnungen seht ihr, dass es ein gutes Museum wird, wenn es denn erst fertig ist.«
Sie verließen den Schuppen und gingen ins Haus. Dort stand an der hinteren Wand ein Bücherschrank mit vielen Fächern, in dem neben Büchern eine ganze Anzahl Ordner standen. An den Wanden hingen keine Familienfotos von gemeinsamen Urlauben in der Hütte, sondern Dutzende von Abbildungen verschiedener U-Boote. Auf einem der Fotos posierte Leo in Suomenlinna vor dem alten Vesikko, in der Hand hielt er einen Schmiedehammer und einen Tiefenmesser.
Er besaß insgesamt vier Ordner mit Zeichnungen. An den Hauptzeichnungen war sofort zu erkennen,
dass Leo den Innenaufbau des alten Vesikko genial für Museumszwecke abgewandelt hatte. In der Tat würden ohne weiteres zwanzig Gäste auf einmal hineinpassen, um sich – buchstäblich – in die Geschichte der Unter-wasserkriegsführung zu vertiefen.
Da Leo einmal in Fahrt gekommen war, erzählte er noch von den U-Booten in der Ostsee und der Barents-see und dem, was sie angerichtet hatten.
Während des Krieges hatten die U-Boote der finni-schen Marine im finnischen Meerbusen patrouilliert und die Konvoifahrten abgesichert. Vesikko war eines von sechs U-Booten der Marine gewesen. Obwohl das Ziel der kleinen Unterwasserflotte nicht gewesen war, andere Schiffe zu versenken, hatte Vesikko dennoch im Juli 1941 das russische 4100-Tonnen-Transportschiff Vy-borg im Seegebiet vor Hogland torpediert. Mit Ausnahme von Vesikko waren die finnischen U-Boote dann auf der Grundlage des Pariser Friedensvertrages Ende der 1940er Jahre verschrottet worden.
Das russische U-Boot S13 versenkte unter dem Kommando von Kapitän Alexander Marinesko gegen Ende des Krieges zwei deutsche Flüchtlingsschiffe, die Soldaten und Zivilisten aus Deutschland vor dem bevor-stehenden Angriff der Roten Armee in Sicherheit bringen wollten. Eines war die Wilhelm Gustloff und das andere die Steuben. Beim Untergang der Gustloff kamen neun-tausend Menschen ums Leben, die Steuben riss viertau-sendzweihundert Menschen mit auf den Meeresgrund. Zuvor war bereits der Ozeandampfer Goya versenkt worden, und dabei ertranken sechs- bis siebentausend deutsche Soldaten und Zivilisten. Insgesamt an die zwanzigtausend Tote durch ein paar Torpedos! Die Anzahl der Toten beim Untergang der Titanic war nichts angesichts dieser Massenvernichtung. Nazi-Deutschland zahlte den Preis für seine Eroberungszüge.
»Krieg ist Krieg. Ich werde in meinem Vesikko-Museum diese Schreckenstaten nicht in den Vorder-grund stellen. Die Idee für ein eigenes Museum bekam ich in Deutschland, als ich nach dem Konkurs dort verschiedene Verbindlichkeiten regelte. In Hamburg ist das russische U-434 ausgestellt. Es ist ein Boot der Tango-Klasse, gebaut 1976, fast hundert Meter lang.«
Leo hatte den Museumsgedanken bei seinem monate-langen Aufenthalt in der Nervenklinik entwickelt. Er fand, dass sich Verrückte generell mit Seemuseumspro-jekten beschäftigen sollten, so würden sie wieder ge-sund, und teure Pflegekosten würden gespart.
Die Vorstellung der Unterwasserwelt hätte vielleicht noch bis zum Morgen gedauert, aber Lucia bemerkte, dass Emilia nicht mehr am Seeufer war. Schleunigst machten sich alle drei auf die Suche.
Emilia war nicht weit weg. Sie stand auf den Hinter-beinen unter einer großen Uferbirke und reckte ihren langen Rüssel gut sieben Meter in die Höhe, denn dort oben hockte maunzend Leos vermisste Katze. Tiina war auf den Baum geklettert, weil sich dort auf
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