Ein Ende des Wartens
dass diese nicht mal versuchte, so etwas wie die beste Freundin der eigenen Tochter zu sein – auch nicht bei Annikas jüngerer Schwester Jeanne, die jedoch aufgrund ihres eigenen Wesens auch kein Bedürfnis nach dieser engen Beziehung zur eigenen Mutter strebte. Umso mehr liebte Annika die innige Beziehung zwischen Tammy und Carmen, auch wenn sie das deutliche Risiko sah, dass es für Tammy auch sehr bequem war, Single zu sein, denn dann tat ihre Mutter praktisch das meiste, das es im Haushalt zu organisieren gab, und ganz gleich, ob Tammy in einer Beziehung war oder nicht – sie musste sich nie alleine fühlen, denn ihre Mutter war immer für sie da.
Doch an diesem Abend sollte nicht die Beziehung von Tammy zu ihrer Mutter Carmen im Mittelpunkt stehen, sondern der spontane Ausflug zur Ostsee, und so leitete Annika das Gespräch auf die Vorbereitung der Fahrt, die in wenigen Minuten starten sollte. Alle drei dachten angestrengt darüber nach, was Annika und Tammy alles brauchen würden, und Tammy kontrollierte den Inhalt ihrer beide Koffer zum dritten Mal, um dabei herauszufinden, dass sie an alles gedacht hatte. Auch Annika ging in Gedanken noch mal alles durch, fragte sich, ob sie zu Hause alles ausgeschaltet hatte, und als niemandem mehr eine Frage einfiel, fühlten sich die beiden startklar.
8
Mit dem eigenartigen Gefühl, aus ihrem normalen Leben auszubrechen, setzten sich Annika und Tammy nach der Verabschiedung von Carmen in den Mercedes, und obwohl die Fahrt nur übers Wochenende gehen sollte, war sie etwas Besonderes. So sehr es auch nach außen wie eine Art von Flucht aussehen mochte, fühlten sich die beiden nicht wie Gejagte, sondern wie freie Menschen, die zu einem Abenteuer aufbrachen, das sie nur sehr rudimentär geplant hatten.
Die Straße und das Viertel verlassend, lenkte Annika den schweren Wagen angespannt über die Straßen, bis sie auf der Ringstraße waren, die aus der Stadt herausführte. Bisher waren sie kaum einem Auto begegnet, doch auf dieser großen Straße war noch reichlich Leben. Die vielen Lichter machten Annika zu schaffen, denn sie war zum Teil nachtblind. Sie dachte darüber nach, ob Tammy von dieser Sehschwäche wusste. Doch dann entschied sie sich zu schweigen, um ihrer Freundin keine Angst zu machen, setzte sich zur Sicherheit hinter einen langsam fahrenden Kleinwagen und hielt den Abstand konstant. Damit musste Annika nur auf die Ampeln achten, während es sich Tammy auf dem Beifahrersitz gemütlich machte.
Zuerst schob Tammy den Sitz weiter nach hinten, um danach die Rückenlehne in eine Liegeposition zu senken. Ihre Schuhe hatte Tammy schon beim Einsteigen ausgezogen; nun stemmte sie ihre Füße gegen das Handschuhfach und spielte mit den Zehen in ihren Söckchen.
Sie sei bereit, in den Urlaub zu fahren, hauchte sie zu Annika, die ihr ein kurzes Lächeln zuwarf, ehe sie sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.
Der Wagen fuhr mit einer großen Laufruhe, und vor allem die Lichter verhinderten, dass Annika müde wurde. Zeitweise war es taghell auf der Straße; besonders dort, wo große Kaufhäuser mit riesigen Leuchtreklamen die gesamte Straßenbreite der vierspurigen Bahn erhellten. Annika fuhr dem langsam fahrenden Kleinwagen weiter mit einer konstanten Geschwindigkeit hinterher, als es plötzlich und völlig unerwartet im Wagenraum piepte, und Annika vor Schreck beinahe das Lenkrad verriss. Auch Tammy schrak auf und fragte, was das für ein Piepen gewesen sei, und als Annika auf die Anzeige hinter dem Lenkrad schaute, erkannte sie, dass der Wagen ihr meldete, dass der Tank bald leer sein würde. Nun sah sie auch die Tankanzeige, die auf Reserve stand, und sogleich spürte sie, wie ihre Handflächen schweißnass wurden. Wo sollten sie um diese Uhrzeit noch eine offene Tankstelle finden?
Es sei der Tank – sie müssten tanken, presste Annika unsicher hervor, doch Tammy beruhigte sie, dass viele Tankstellen am Wochenende bis tief in die Nacht aufhatten. Tatsächlich fanden sie schon wenige Augenblicke später eine offene Tankstelle, auf deren Platz Annika den Benz lenkte. Wie an der Ausfahrt des Parkhauses tastete sich sie langsam an die Zapfsäule heran, denn sie hatte das Gefühl, dass Marcos Auto viel breiter als die normalen Autos war. Als sie den Motor endlich ausmachte und ausstieg, stellte sie fast augenblicklich fest, dass sie auf der falschen Seite an die Zapfsäule herangefahren war. Sie blickte sich um, stieg wieder ein, übersah Tammys fragenden
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