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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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die Hand verletzt und Fis kleine Schwester litt ab und zu unter bösen Asthmaanfällen. Trotzdem musste das Leben auf dem Messegelände die Hölle sein. Nell sagte, es sei viel zu voll; das Kanalsystem hielt schon längst nicht mehr mit und oft reichte das Essen nicht für alle. Im Pferdepavillon befanden sich zwar ein paar Duschen für die Stallburschen, aber sie durften nicht benutzt werden, weshalb alle erbärmlich stanken und sich ständig kratzen mussten. Die Kratzer und offenen Stellen entzündeten sich rasch und laufend brachen irgendwelche Epidemien aus. Zurzeit waren es die Windpocken; zuletzt war es Mumps gewesen. Die Leute waren deprimiert, schlecht gelaunt und erschöpft. Handgreiflichkeiten und Streitereien waren an der Tagesordnung. Manche Leute redeten nicht miteinander. Mehrere hatten versucht Selbstmord zu begehen. Ungefähr ein Dutzend war ums Leben gekommen. Alte Menschen zumeist, die aus dem Krankenhaus gewiesen wurden, ein Baby war auch darunter, und ein zwanzigjähriges Mädchen namens Angela Bates war ermordet worden. Niemand wusste Genaueres: Man hatte ihre Leiche eines Morgens neben den Toiletten gefunden. Alle waren überzeugt, dass die Soldaten die Täter waren, aber es wäre reinste Zeitverschwendung gewesen, sie darauf anzusprechen. Der Mord wurde nicht aufgeklärt.
    Anfangs, als die Menschen zusammengetrieben und auf das Messegelände gebracht wurden, war es zu Vergewaltigungen gekommen, seither aber nicht mehr. Nell sagte, dass die Soldaten die meiste Zeit sehr diszipliniert waren, allerdings jeden verprügelten, der ihren Befehlen nicht gehorchte. Einem jungen Mann namens Spike Faraday hatten sie ins Knie geschossen, weil er auf einen Soldaten losgegangen war, und sechs Leute, die versucht hatten zu fliehen, waren geschlagen und ins Gefängnis von Wirrawee gebracht worden. Ein anderer Spike, der vor der Invasion auf einer der Farmen als Lehrling gearbeitet hatte und Spike Florance hieß, war wiederholt verprügelt worden, weil er aufsässig war und den Wachen nicht gehorchte.
    Es war viel schlimmer, als wir gedacht hatten. Das bisschen Information, das wir von den Arbeitstrupps erhalten hatten, und die Kommentare im Radio über eine »saubere Invasion« hatten uns zu einem fälschlichen Optimismus verleitet. Die Lage schien immer schlimmer zu werden. Von sauber konnte keine Rede sein. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte mir die Hände gewaschen.
    Dann erzählte uns Nell von ihrer Matratze auf dem Boden aus zwei Dinge, die mich wirklich schockierten. Das eine war, dass es eine Menge Leute gab, die mit den Soldaten kooperierten. Als ich das hörte, wusste ich nicht, was ich denken sollte. Ich kannte nicht sehr viele Kriegsromane oder Kriegsfilme, aber ich hatte immer gedacht, dass die Guten in jedem Fall Helden waren. Man stand auf der einen oder der anderen Seite – auf der guten oder der bösen – und dort blieb man bis zum Schluss. Nell sagte, dass es welche gab, die sich bei den Soldaten einschmeichelten und richtige Stiefellecker waren; und was noch schlimmer war, manche von ihnen boten freiwillig ihre Hilfe an, unterstützten die Wachen und mussten erst gar nicht gebeten werden. Andere verbrachten die Nacht mit ihnen.
    Wir waren beide fassungslos. »Warum?«, fragte Lee. »Warum tun sie das?«
    Nell stieß ihr bitteres Lachen aus, an das ich mich langsam gewöhnte. »Hör mal, Kleiner«, flüsterte sie. »Ich bin im Friseurgeschäft und da eignet man sich mit der Zeit eine ziemliche Menschenkenntnis an. Wir Friseure denken, wir wissen alles über die Menschen. Aber auf dem Messegelände habe ich Dinge gesehen, die ich nie kapieren werde, und wenn ich hundert Jahre alt werde. Wer weiß, was in den Köpfen dieser Verräter vorgeht? Manche tun es, weil sie Angst haben. Manche tun es im Austausch für Nahrungsmittel oder Zigaretten oder Schnaps oder bloß für eine Dusche und eine Flasche Shampoo. Andere tun es, weil sie sich persönliche Vorteile versprechen. Dann gibt es welche, die solche Schafe sind, dass sie nichts dagegen haben, wenn sie herumkommandiert werden. Es ist ihnen egal, wer die Befehle erteilt, wichtig ist nur, dass es jemand tut. Meiner Meinung nach sind sie verrückt. Es wird alles noch schlimmer werden, bevor es besser wird.«
    Wieder schwiegen wir. Das mussten wir erst einmal verdauen. Ich schien außer Stande, mich außer auf das Wort »Schafe« auf irgendetwas zu konzentrieren. Die meisten Menschen sind Schafen gegenüber unglaublich respektlos,

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