Ein endloser Albtraum (German Edition)
gedacht, dass wir schon so bekannt waren. Ich antwortete nichts und Nell lachte. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Ich bin keine Schwätzerin. Ihr wollt sicher wissen, wie es euren Freunden geht, nicht wahr?«
»Ja, bitte«, flüsterte ich.
»Kevin geht es jetzt wieder gut. Er ist bei den anderen auf dem Messegelände. Die arme kleine Corrie ...«
Sie hielt inne. In meiner Brust entstand ein unerträglicher Druck. Das war mein Herz.
»Tja, Liebes ...«
»Was? Was?«
»Hör mal, sie ist ziemlich schlecht beisammen.«
Ich konnte nur den Gedanken fassen, dass sie am Leben war.
»Wo ist sie?«
»Sie ist hier. Zwei Türen weiter. Aber wie gesagt, gut geht es ihr nicht.«
»Was meinen Sie?«
»Sie ist noch immer nicht zu sich gekommen, verstehst du? Bewusstlos. Ihr Zustand hat sich nicht verändert, seit sie hergekommen ist. In einer schlimmen Verfassung.«
»Können wir sie sehen?«
»Natürlich kannst du das, mein Herz. Aber wartet noch ein wenig. Die Wache muss jeden Moment kommen. Normalerweise machen sie nur einen Rundgang pro Abend, aber heute war ein Feueralarm, wahrscheinlich sind sie deshalb später dran als sonst.«
»Das waren wir«, sagte Lee. »Die einzige Möglichkeit, sie abzulenken und hier reinzukommen.«
»Verstehe. Ihr Kids sollt ja ziemlich clever sein.«
»Erzählen Sie mir mehr von Corrie«, bat ich sie. »Ich will alles wissen.«
Nell stieß einen Seufzer aus. »Ach Liebes, ich würde dir so gerne was Gutes berichten. Aber weißt du, sie sind ziemlich grob mit ihr umgegangen. Kevin brachte sie direkt zur Notfallambulanz und zuerst haben sie dem Arzt erlaubt sie zu untersuchen, aber als der Einschuss zum Vorschein kam, wurden sie ekelhaft. Sie schlossen sie in ein Zimmer ein und ließen so lange niemanden an sie ran, bis die Ärzte einen Aufstand machten. Aber sogar dann hat es noch eine Ewigkeit gedauert, bis sie richtig behandelt wurde, und dann dauerte es noch länger, bis sie sie hierherbrachten, damit wir uns um sie kümmern konnten. Die Soldaten sagten dauernd ›böses, böses Mädchen‹. Vielleicht hatte sie noch Glück, dass sie nicht bei Bewusstsein war. Besser dran, verstehst du. Aber das arme Kind liegt einfach nur da. Sie haben sie schließlich an den Tropf gehängt, aber es scheint keine Besserung einzutreten. Wir tun, was wir können. Sie ist die Einzige hier, die ein eigenes Zimmer hat. Trotzdem ist immer jemand bei ihr. Heute Nacht ist Ms Slater an der Reihe. Ihr kennt sie.«
Es folgte langes Schweigen. Zum ersten Mal hasste ich die Soldaten aus tiefstem Herzen. Das Gefühl war so dunkel und böse, dass es mir Angst machte. Als füllte sich mein ganzes Wesen mit schwarzem Erbrochenen – als säße ein Dämon in mir, der schwarzes Gift in meine Eingeweide spie. Ich hatte Angst, Angst vor dem Hass, den ich spürte, vor Corries Zustand und vor der Gefahr, in der Lee und ich uns in diesem Moment befanden.
»Wissen Sie, wie es unseren Familien geht?«, fragte Lee.
Nell gluckste leise. »Dazu muss ich wissen, wer ihr seid«, sagte sie. »Stimmt das, was ich vorhin sagte?«
Also sagten wir es ihr. Wir hatten keine Ahnung, ob sie vertrauenswürdig war, aber unser Bedürfnis nach Neuigkeiten war größer als unsere Vorsicht.
Nell wusste bestens Bescheid. Meinen Eltern ging es ganz gut, obwohl mein Vater am ersten Tag der Invasion einen Gewehrlauf in den Magen bekommen hatte, weil er zu aggressiv geworden war. Seither war er aus ähnlichen Gründen mehrmals niedergeschlagen worden. Die Gründe waren immer dieselben. Das hatte ich schon befürchtet. Farmer sind es nicht gewöhnt, auf irgendjemand anderen als sich selbst zu hören. Sie mögen es nicht, wenn man ihnen Vorschriften macht – das gilt im Übrigen auch für ihre Töchter. Dad musste rotgesehen haben, als ihm klar wurde, dass ihn diese Leute während der nächsten Jahre – oder für den Rest seines Lebens – einsperren und herumkommandieren würden.
Lees Familie ging es den Umständen entsprechend ebenfalls ganz gut, obwohl sie es zuerst auch nicht leichtgehabt hatten. Als die Soldaten zu ihnen kamen, hatten sie sich gewehrt und mussten mit Gewalt aus ihrem Restaurant geholt werden. Vielleicht wurden sie auch schlechter behandelt, weil sie Asiaten waren. Lees Vater wurde der Arm gebrochen und seine Mutter trug zwei blaue Augen davon, aber den beiden Kleinen war bis auf den Schock nichts zugestoßen.
Den anderen schien es so weit ganz gut zu gehen. Homers Bruder George hatte sich beim Gemüseschneiden
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