Ein endloser Albtraum (German Edition)
Auto aus den Augen zu lassen. Der Fahrer sah wie ein gewöhnlicher Soldat aus; hinter ihm, auf dem Rücksitz, saßen zwei Personen, von denen einer ein hochrangiger Offizier mit spitz aufragender Mütze und goldenem Schnurbesatz auf der Uniformjacke war. Von dem anderen war kaum etwas zu sehen.
Nachdem der Wagen vor dem Haus von Fis Nachbarn gehalten hatte, stiegen die beiden Männer aus. Ein von einer wild wuchernden Kletterpflanze umranktes Bogentor führte in den Garten und zu einem Weg, der sich zur Eingangstür des Hauses schlängelte. Sobald jemand durch das Bogentor gegangen war, verschwand er praktisch aus unserem Blickfeld, und da der Rangerover unmittelbar vor dem Bogen geparkt hatte, würde es schwierig werden, etwas zu erkennen. Der Mann, der auf dem rechten Rücksitz gesessen hatte, musste um den Wagen herumgehen; ihn konnten wir deutlich sehen. Doch der andere war in dem Moment verschwunden, als er aus dem Wagen gestiegen und durch das Bogentor gegangen war. Jetzt blieb nur der Augenblick, wenn er auf dem Weg zur Eingangstür zwischen zwei Judasbäumen noch einmal kurz auftauchen würde. Ich streckte mich möglichst weit vor, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Dann griff ich mit einem entsetzten Aufschrei nach Fi, die gerade noch außer Reichweite war.
»Was ist?«, fuhr sie hoch. »Was ist denn?« Sie hatte nicht mit derselben Konzentration beobachtet und jetzt war es zu spät, um den Mann noch einmal zu sehen.
»O mein Gott. Ich glaub's nicht. O mein Gott.«
»Was denn?«, wiederholte Fi ihre Frage, diesmal schon ungeduldiger und ein wenig ängstlich.
»Das war Major Harvey!«
»Ellie. Das ist lächerlich.«
»Fi, ich schwöre, er war's. Das war Major Harvey.«
»Bist du sicher?«
»Ja, doch, ich glaube schon.«
»Was nun? Bist du sicher oder glaubst du schon?«
»Ich bin zu neunzig Prozent sicher. Nein, fünfundneunzig Prozent. Fi, ehrlich, das war er. Hast du denn gar nichts gesehen?«
»Na ja, einen kurzen Blick, mehr nicht. Er hätte es sein können. Von der Größe her.«
Ich lehnte zitternd an der Wand.
»Fi, wenn er das war, was meinst du, bedeutet das?«
»Ich weiß nicht. O mein Gott, Ellie.« Fi ging langsam ein Licht auf. »Du meinst doch nicht ...? O nein. Vielleicht ... vielleicht tut er ja nur so, als würde er auf ihrer Seite stehen, um zu spionieren.«
Ich schüttelte den Kopf. Woher wusste ich instinktiv, dass Major Harvey zu dieser Art von Courage nicht fähig war? Woher wusste ich, dass sein ganzes Wesen von einer fatalen Schwäche regiert wurde, die ihn so unweigerlich ausfindig machte wie Wasser, das die schwächste Stelle im Tank findet, oder wie ein Schaf das einzige Loch im Zaun?
Trotzdem, ich wusste es; so sicher, wie ich wusste, dass wir mit Major Harvey noch eine Rechnung offen hatten.
Wir blieben bis nach Einbruch der Dunkelheit auf unserem Posten, aber der Mann tauchte nicht mehr auf. Zwischen fünf und sechs schienen die Leute von der Arbeit zurückzukommen, denn sie verteilten sich wieder auf die einzelnen Häuser. Um acht Uhr registrierten wir zum vierten Mal die Wachablöse und um zehn Uhr zogen wir uns zurück, verließen die Kirche durch die Tür in der Sakristei und durchquerten auf Zehenspitzen den Friedhof. Ich konnte es nicht erwarten, den anderen zu erzählen, was wir gesehen hatten. Lee und Homer schliefen, aber diesmal weckten wir sie sofort. Wir saßen stundenlang beisammen und besprachen unsere Möglichkeiten. Zunächst vereinbarten wir jedoch, auf Nummer sicher zu gehen und herauszufinden, ob der Mann, den ich einen Augenblick lang gesehen hatte, wirklich der ehemalige Kommandant der Harveys Heroes war.
Sechzehntes Kapitel
Zwei Tage lang sahen wir niemanden, der Ähnlichkeiten mit Harvey hatte. Unserer Einschätzung nach hatte der Mann in dieser Zeit das Haus nicht verlassen, doch dann, am dritten Tag, als Robyn und ich im Kirchturm waren, bekamen wir ihn endlich zu Gesicht. Da der Rangerover diesmal ungefähr zehn Meter von dem Bogentor entfernt parkte, musste Harvey ein Stück die Straße entlanggehen, um zu dem Wagen zu gelangen. Als er durch das Tor kam, sahen wir ihn klar und deutlich: ein kleiner untersetzter Mann im dunklen Anzug; der Einzige, den wir in der Turner Street gesehen hatten, der keine Uniform trug.
Robyn starrte mich ungläubig an. »Er ist es wirklich«, sagte sie kaum hörbar.
Ich hatte schon erste Zweifel bekommen und mich gefragt, ob mir meine Augen oder meine Erinnerung einen Streich gespielt hatten. Doch
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