Ein endloser Albtraum (German Edition)
gegangen – wir lebten zu weit außerhalb der Stadt, so lautete wenigstens meine Ausrede –, trotzdem mochte ich die Atmosphäre. Kirchen sind Orte der Ruhe. Ich blickte mich um und kniff die Augen zusammen, um die Details auszumachen. Der Altar ganz vorne wirkte irgendwie heilig. Das machte mich befangen. An einer Säule in meiner Nähe war ein Kreuz befestigt. Von einem der Fenster fiel ein Lichtschein wie ein Zickzackstrich auf das Kreuz. Ich versuchte das Gesicht darauf zu sehen, aber es war von mir abgewandt und lag im Schatten. Ich fragte mich, was das wohl bedeuten sollte.
Robyn rief uns zur Turmstiege. Als ich mit Lee den Gang zwischen den Sitzreihen entlangging, fragte ich mich, ob wir eines Tages richtig zum Altar schreiten würden. Was meine Eltern wohl davon halten würden? Und von Lee wusste ich, dass seine Eltern strikt dagegen wären, wenn er eine Weiße heiraten wollte.
Als wir am anderen Ende der Kirche angelangt waren, sagte Lee zu meiner Überraschung: »Ich hasse diese Orte.«
»Kirchen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weiß nicht. Sie riechen nach Tod. Es sind tote Orte.«
»Hmmm. Ich mag sie ganz gern.«
Auf halbem Weg die Treppe hinauf entdeckten Homer und Robyn kleine Fenster, die sich als Beobachtungsposten eigneten. Sie richteten sich so gut wie möglich ein. Ich konnte mir einen ansatzweise boshaften Gedanken nicht verkneifen, der mir im Hinterkopf saß und sich immer wieder meldete: Vielleicht war Homer deshalb so erpicht gewesen die erste Schicht zu übernehmen, weil Robyn gesagt hatte, ich sei die Mutigste von allen. Homer hatte das nicht zu schätzen gewusst, davon war ich überzeugt. In seiner Denkart waren die Männer die Helden, immer ein wenig besser als die Mädchen.
Vielleicht war das der Grund, warum ich Homer nie das letzte Wort ließ.
Wir hatten Papier und Schreibzeug mitgebracht, damit wir aufschreiben konnten, was wir tagsüber beobachteten. Wohl war uns bei diesem Gedanken nicht. Ähnlich wie bei unserer Entscheidung bezüglich der Waffen wussten wir, dass es etwas anderes war, eine Gruppe Teenager zu sein, die sich im Busch versteckt hielt und überlebte, oder eine Gruppe bewaffneter Guerillas, die Informationen über die Manöver der feindlichen Truppen sammelte und aufzeichnete. Wir hatten genug Kriegsfilme gesehen und Bücher gelesen, um zu wissen, was dieser Unterschied bedeutete. Dann fanden wir aber im Mauerwerk des Kirchturms eine Ritze, in die wir die Zettel hineinstopfen konnten, sollten wir erwischt werden. Und waren sie erst dadrinnen, würden sie auf immer und ewig dort bleiben.
Wir wollten uns ein genaues Bild machen, wer die Häuser betrat und wieder verließ und was in der Turner Street tatsächlich los war. Obwohl wir keine Details besprochen hatten, wusste jeder von uns, dass wir uns in der ersten Phase unseres nächsten Angriffs befanden. Er würde nicht einfach sein, im Gegenteil, er würde schwieriger und gefährlicher sein als alle bisherigen; umso sorgfältiger und genauer mussten wir planen.
Um fünf Uhr verließen Fi, Lee und ich die beiden. Ihnen stand ein kalter, langweiliger und ungemütlicher Tag bevor. Fi und mir würde es am nächsten Tag nicht anders gehen. Wieder im Haus der Musiklehrerin war es aber auch nicht gerade lustig. Einer von uns musste Wache halten – alles andere wäre zu gefährlich gewesen und kam nicht in Frage –, weshalb wir die meiste Zeit zu dritt auf dem Wachposten waren, Trivial Pursuit und Ähnliches spielten. Als Fi mit der Wache an der Reihe war, zogen Lee und ich uns ins Wohnzimmer zurück und schmusten ein wenig. Ich hatte Lust auf ihn, aber Lee wirkte abgelenkt und zerstreut. Wahrscheinlich weil wir wieder einen Angriff vorbereiteten und verwundet oder getötet werden konnten. Kein Wunder. Ich war auch nervös, aber ich konnte offenbar besser abschalten als er. Früher war ich vor einem Volleyballmatch oder vor einem Referat vor versammelter Klasse immer nervös gewesen. Verglichen damit hätte mich unser jetziges Vorhaben eigentlich hysterisch machen sollen.
Homer und Robyn hielten bis Mitternacht durch, was wirklich heldenhaft war; das wurde mir klar, als Fi und ich ein paar Stunden später im Kirchturm ankamen. Sie brachten mehrere interessante Neuigkeiten mit. Tatsächlich waren ihre Notizen so gefährlich, dass wir wirklich jeden Grund hatten, uns unter keinen Umständen mit ihnen erwischen zu lassen. Die Häuser vibrierten nur so vor Aktivität. Eine Flotte teurer Autos – zwei Jaguars und drei
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