Ein endloser Albtraum (German Edition)
hatte das gesamte Geld und den Schmuck mitgehen lassen. Danach hatte Chris die wenigen noch vorhandenen Wertgegenstände vergraben, sich aber den Rest der Woche versteckt gehalten, und war nur aufgetaucht, um nach den Tieren zu sehen und sich Lebensmittel aus dem Haus zu holen.
Er erzählte diese Geschichte vom Rücksitz seines Familienmercedes aus, während wir auf Nebenstraßen unterwegs waren, und uns wurde klar, dass wir viel Glück gehabt hatten, weil wir auf keine Patrouillen gestoßen waren. Sein Haus war der Stadt näher als das unsere und auch viel größer und auffallender und er hatte täglich Besuche von Soldaten gehabt.
»Sie haben Angst«, sagte er. »Sie wollen keine Helden sein. Sie bleiben immer dicht beisammen. Während der ersten Tage waren sie wirklich nervös, aber jetzt fühlen sie sich sicherer.«
»Wie hat es angefangen?«, fragte ich. »Das heißt, wann wurde dir klar, dass etwas Merkwürdiges vor sich geht?«
Chris war normalerweise ruhig, aber er hatte so lange nicht gesprochen, dass er jetzt die Unterhaltung allein bestritt.
»Es war an dem Tag, an dem Mum und Dad ihre Reise antraten. Du erinnerst dich doch daran? Deshalb konnte ich den Ausflug nicht mitmachen. Murray, unser Arbeiter, war mit seiner Familie zur Messe gefahren und bot mir an mich mitzunehmen, aber ich hatte keine Lust. Ohne euch wäre es nicht sehr lustig gewesen und ich mag solche Sachen ohnehin nicht.« Chris war ein schlanker Junge mit großen Augen und einer Menge nervöser Angewohnheiten; zum Beispiel in der Mitte jedes Satzes zu husten. Er nahm weder am Gedenktag noch an Holzhacker-Wettbewerben teil, sondern befasste sich mehr mit den Grateful Dead, Hieronymus Bosch und Computern. Man wusste auch, dass er Gedichte schrieb und mehr verbotene Substanzen verwendete, als in einem durchschnittlichen Polizeilabor zu finden waren. Sein Motto war: »Wenn es wächst, rauch es.« Neunzig Prozent der Schüler hielten ihn für verschroben, zehn Prozent hielten ihn für eine Legende und alle fanden, dass er ein Genie war.
»Murray kam jedenfalls in dieser Nacht nicht nach Hause, aber das fiel mir nicht auf, weil ihr Haus ziemlich weit von unserem entfernt ist. Ich bemerkte nichts Ungewöhnliches. Jets der Luftwaffe rasten herum, aber ich dachte, das gehört zum Gedenktag. Dann fiel gegen neun Uhr der Strom aus. Das geschieht so oft, dass ich mich nicht aufregte, sondern nur darauf wartete, dass er wieder eingeschaltet wurde. Doch eine Stunde später gab es noch immer keinen Strom, deshalb rief ich an, um zu fragen, was los sei. Dabei stellte ich fest, dass auch das Telefon nicht funktionierte, was ungewöhnlich ist – es geschieht häufig, dass eins von beiden ausfällt, aber nicht beide zugleich. Deshalb ging ich zu den Murrays hinüber, stellte fest, dass sie nicht zu Hause waren, dachte, sie besuchen jemanden, kam nach Hause, ging mit einer Kerze zu Bett, wachte am Morgen auf und entdeckte, dass noch immer nichts funktionierte. ›Das ist ernst‹, dachte ich, ging wieder zu den Murrays und dort war noch immer niemand. Ich ging die Straße entlang zu den Ramsays – sie sind unsere Nachbarn –, das Haus war leer, ging weiter, fand auch bei den Arthurs niemanden, merkte, dass es keinen Verkehr gab, dachte: ›Vielleicht bin ich der einzige Mensch, der auf diesem Planeten übrig geblieben ist‹, ging um eine Ecke und fand einen zertrümmerten Wagen mit drei Toten drin. Sie waren gegen einen Baum gefahren, aber das hatte sie nicht umgebracht – sie waren erschossen worden. Ihr könnt euch vorstellen, dass ich ausflippte und auf die Stadt zuzulaufen begann. An der nächsten Ecke kam der nächste Schock – Onkel Als Haus, das gesprengt worden war. Es war nur noch ein Haufen rauchender Trümmer. Zwei Fahrzeuge kamen mir entgegen, und statt auf die Straße zu springen und sie aufzuhalten, was ich eine Stunde vorher noch getan hätte, versteckte ich mich und beobachtete sie. Es waren Militärlastwagen voller Soldaten und es waren nicht unsere Leute. Ich dachte: ›Entweder habe ich sehr seltsamen und starken Stoff genommen oder das ist kein typischer Tag im Leben von Wirrawee.‹ Seither ist alles sehr sonderbar. Dass ich mitten in der Nacht aufwache und einen BMW im Stausee treiben sehe, gehört auch dazu.«
Chris brauchte eine gute halbe Stunde, bis er uns erzählt hatte, was ihm zugestoßen war. Dann erzählten wir ihm unsere Geschichte. Lange bevor wir zu meinem Haus kamen, schliefen Homer und Robyn schon tief und fest.
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