Ein endloser Albtraum (German Edition)
ein Heiliger oder ein Teufel gewesen war, aber sobald er die beiden Schüsse abgefeuert hatte, hatten er selbst und die Leute ihn in die Hölle geschickt. Sie schickten ihn dorthin und er schickte sich selbst dorthin. Er musste nicht den ganzen Weg über diese Berge in das wilde Becken aus Hitze, Felsen und Busch wandern. Er trug die Hölle mit sich, wie wir alle es tun, wie eine kleine Last auf unserem Rücken, die wir die meiste Zeit kaum bemerken, oder wie einen riesigen Buckel von Leid, der uns mit seinem Gewicht zu Boden drückt.
Auch ich hatte wie der Einsiedler Blut an meinen Händen, und so wie ich nicht sagen konnte, ob seine Handlungen gut oder schlecht waren, konnte ich auch nicht sagen, wie meine Handlungen waren. Hatte ich aus Liebe zu meinen Freunden getötet, als Teil eines edlen Kreuzzugs, um Freunde und Familie zu retten und unser Land zu befreien? Oder hatte ich getötet, weil mir mein Leben wichtiger war als das der anderen? Wäre es für mich in Ordnung, zwölf Menschen zu töten, um selbst am Leben zu bleiben? Hundert? Tausend? An welchem Punkt verdammte ich mich selbst zur Hölle, wenn ich es nicht schon getan hatte? Die Bibel sagt einfach: »Du sollst nicht töten«, dann erzählt sie hundert Geschichten von Leuten, die einander töten, und Helden werden wie David mit Goliath. Das half mir auch nicht weiter.
Ich fühlte mich nicht wie eine Verbrecherin, aber ich fühlte mich auch nicht wie eine Heldin.
Ich saß auf einem Felsen auf dem Gipfel des Mount Martin und dachte über all das nach. Der Mond schien so hell, dass ich alles sehen konnte. Bäume, Felsblöcke und sogar die Gipfel anderer Berge warfen riesige schwarze Schatten über die Bergketten. Aber von den winzigen Menschen, die wie Käfer über die Landschaft krochen und ihre scheußlichen und schönen Taten vollbrachten, war nichts zu sehen. Ich konnte nur meinen eigenen Schatten sehen, den der Mond hinter mir an den Felsen warf. Menschen, Schatten, gut, böse, Himmel, Hölle: All das waren Namen, Bezeichnungen, das war alles. Die Menschen hatten diese Gegensätze geschaffen: Die Natur kannte keine Gegensätze. Nicht einmal Leben und Tod waren in der Natur Gegensätze: Das eine war nur die Erweiterung des anderen.
Alles, was ich konnte, war dem Instinkt zu vertrauen. Das war alles, was ich wirklich hatte. Menschliche Gesetze, moralische Gesetze, religiöse Gesetze, sie alle wirkten künstlich und primitiv, beinahe kindlich. Ich hatte ein Gespür in mir – oft war es nicht viel mehr als ein Wunsch –, das Richtige zu tun, und ich musste diesem Gespür vertrauen. Man kann es Instinkt, Gewissen, Vorstellungskraft nennen – aber es war, als würde ich immer wieder an meine Grenzen stoßen; ich prüfte mich die ganze Zeit. Vielleicht kennen Kriegsverbrecher und Massenmörder diese Grenzen auch und spüren, sobald sie sich dieser Grenzen bewusst sind, einen inneren Impuls, der sie den einmal eingeschlagenen Weg weitergehen lässt. Woher wollte ich wissen, dass ich anders war?
Ich stand auf und ging langsam um den Gipfel des Mount Martin herum. Das alles verursachte mir tatsächlich Kopfschmerzen, aber ich musste dabeibleiben. Ich spürte, dass ich einer Antwort nahe war, dass ich, wenn ich nicht lockerließ, weiter daran festhielt, es vielleicht herauskriegen, es meinem widerwilligen Gehirn entreißen konnte. Doch in einem unterschied ich mich von ihnen: in der Selbstsicherheit. Die Menschen mit brutalen Gedanken und brutalem Verhalten – die Rassisten, Sexisten, selbstgerechten Fanatiker –, die ich kannte, schienen nie an sich zu zweifeln. Sie waren immer absolut sicher, dass sie Recht hatten. Mrs Olsen in der Schule, die mehr Kinder nachsitzen ließ als der ganze übrige Lehrkörper zusammen und die sich über Standards in der Schule und den Mangel an Disziplin unter diesen Kindern beklagte; Mr Rodd aus unserer Straße, der einen Arbeiter nie länger als sechs Wochen behalten konnte – er hatte innerhalb von zwei Jahren vierzehn verbraucht –, weil sie alle faul oder dumm oder unverschämt waren; Mr und Mrs Nelson, die ihren Sohn jedes Mal, wenn er etwas falsch machte, mit dem Auto fünf Kilometer wegbrachten, so dass er zu Fuß nach Hause zurückgehen musste, und ihn endgültig hinauswarfen, als er siebzehn war und sie die Spritzen in seinem Zimmer fanden – das waren die Leute, die ich für abscheulich hielt. Und sie schienen etwas gemeinsam zu haben – die vollkommene Überzeugung, dass sie Recht und die anderen Unrecht
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