Ein Engel an Güte (German Edition)
durch das Gitter zu spähen, dachte er:«Und wenn das nun der Henker wäre? Wenn das...»
Damals gab es noch weitaus schrecklichere Scharfrichter als den Henker, wie zum Beispiel denjenigen, der die Zangen anlegt, oder denjenigen, der die glühenden Kohlen schürt, und Ähnliches, eine bei den Gerichten in hohem Ansehen stehende Berufsgruppe; diese ganze dunkle Meute blutrünstiger Schlächter zog blitzschnell vor der Phantasie des Grafen vorüber. Als daher auf der rechten Seite seines Kerkerlochs eine schwere Tür aufging und eine riesige Gestalt eintrat, die noch finsterer wirkte als die Finsternis ringsum, empfing er diese nicht mit der Freude, die er noch vor einer Stunde geglaubt hatte empfinden zu müssen, sobald diese trübselige Einsamkeit ein Ende fände. Der Besucher schloss die kleine Tür, und in gebückter Haltung, vielleicht, um sich nicht das Samtbarett an der nassen Decke schmutzig zu machen, ging er auf Carmini zu.«Bemühen Sie sich nicht, Herr Graf», sagte er mit einer Stimme, in der Spottmitschwang.«Bemühen Sie sich nicht!», wiederholte er, als er sah, dass dieser unablässig immer weiter vor ihm zurückwich.
Als er im äußersten Winkel der Höhle angekommen war, fing der Besucher wieder an:«Jetzt werden Sie erlauben, dass ich mich neben Sie setze und Ihnen ein wenig Gesellschaft leiste.»
Doch der Graf versuchte zu entwischen, indem er zwischen seinen Beinen hindurchschlüpfte.« Oh, gütiger Gott, machen Sie sich doch meinetwegen nicht solche Umstände!», fuhr der finstere Kerl fort und packte den Grafen fest an den Handgelenken.
Der war wie leblos unter diesem Griff, und seine ganze Seele lag in einem erschrockenen Blick, den er auf das Gesicht des Unbekannten heftete; nichts konnte er dort erkennen, weil dieser maskiert war, doch überzeugte ihn sein vor Angst fieberhaft arbeitendes Gedächtnis aufgrund gewisser vager Ähnlichkeiten davon, dass dies derselbe Mensch war, der ihn den langen Weg auf dem Fluss gefahren hatte und ihm vermutlich zum Schluss auch das Wasserbad bereitet hatte, aus dem er so gut wie tot hervorgegangen war. Diese Erinnerungen waren ihm überhaupt kein Trost, er schloss die Augen und dachte bei sich:«Fahren wir also zur Hölle, dort lebt sich’s bestimmt besser als hier!»
« Ah, Sie möchten wissen, wer ich bin!», rief der Unbekannte plötzlich, ohne dabei den Griff zu lockern, mit dem er ihn fest gegen die Wand gepresst hielt.
Der Graf, der im Geiste schon auf halbem Weg zu Satan gewesen war, machte hastig kehrt und riss erneut die Augen auf.
« Nichts leichter als das», fuhr der andere fort.« ich bin immer noch Ihr untertänigster Diener.»
Bei diesen Worten glitt ihm langsam die Maske vom Gesicht, und die Augen des Carmini traten noch weiter aus ihren Höhlen, bis sich vor dem Hintergrund von Finsternis ein bleiches Antlitz abhob, düster durch einen sehr langen Bart und ein schauriges Lachen. Der arme Graf sah es und schrie auf, fuhr krampfhaft zurück und stieß dabei heftig mit dem Kopf gegen die Wand hinter ihm.
« Tramontino!», murmelte er, zähneklappernd vor Angst.
« Ja, Tramontino!», erwiderte der andere.«Tramontino, der zur Bezeugung besonderer Gunst hierherkommt, um Ihnen seine Verehrung darzubringen, Ihnen Seelentrost zu spenden und Sie womöglich auch von allen körperlichen Gebrechen zu heilen.»
Der Graf, dessen feiges Naturell nun vollends zum Vorschein kam, zitterte an allen Gliedern.
« Apropos, Sie müssen ja frieren in diesen durchnässten Kleidern», fing Tramontino wieder an.« Aber ich habe hier alles Nötige, und ich verspreche Ihnen, nur ein wenig herausgeputzt, und Sie werden aussehen wie ein Prokurator von San Marco.»Bei diesen Worten zog er unter seinem langen Mantel ein kleines Bündel hervor, knüpfte es auf und brachte ein Leinenhemd, eine Jacke aus braunem Tuch und eine abgetragene Hose zum Vorschein sowie Schuhe und Strümpfe, die ganz verschimmelt und von Mäusen zerfressen waren.« Das ist mein erstes Geschenk!», sagte er.
« Und wo bin ich denn jetzt, wo sind wir?», murmelte Carmini.«Was für eine Gruft ist das hier...?»
« Sapperlot, wir sind bei mir zu Hause, Herr Graf!», antwortete Tramontino mit teuflischem Grinsen.«Dort, sehen Sie, genau dort, wo Sie jetzt sitzen, ist vor vier Monaten meine arme Polonia gestorben ...! Ah, Sie erinnern sich bestimmt noch mit Vergnügen an sie...! Ei, ei, wie Sie zittern...! Ich möchte wetten, auch Sie haben das hübsche Weibchen gern gehabt...! Aber wozu
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