Ein Engel an Güte (German Edition)
erste, der ihn aus diesem An-der-Tür- Kleben wegriss, scherte sich nicht um die Person, so eilig hatte er es, das Schlupfloch ausfindig zu machen, durch das dieser zu entwischen trachtete; doch in seinen Hoffnungen enttäuscht, wandte er sich um, und die anderen, die ihm nachfolgten, umringten den Grafen, der mit versteinertem Blick, das bleiche Gesicht noch blutverkrustet von den Stößen des Ritts auf dem Maultier und mit dieser in die Stirn gezogenen Mütze, salopp gesagt, so schaurig aussah wie der besoffene Tod persönlich. 109
« Sollte man nicht meinen ... gleicht er nicht ...», sagte einer.
« Graf Carmini, alle Wetter!», rief da verblüfft Giorgetto, der Neapolitaner, der eben aus seiner Zelle geholt und in die Gesellschaft der anderen gebracht worden war.«Zeigt’s ihm, dem abtrünnigen Hund!»
« Graf Carmini!», wurde im ganzen Raum wiederholt.
« Zeigt’s ihm, zeigt’s ihm, diesem Verräter, Mörder, Feigling!»
Viele vergaßen die eigene Angst, um sich an derjenigen zu weiden, von der das Gesicht des Grafen grauenhaft entstellt war.
« Zeigt’s ihm, zeigt’s ihm! Elender! Hier, nimm! Hat man dich also auch erwischt, du Judas! Hier, das ist dein Lohn!»
« Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr!», brüllte, schluchzte, kreischte der Graf, unter einem Hagel von Fausthieben, Stößen, Knüffen und Fußtritten zu Boden gegangen.
« Ich werd’ dir’s zeigen, beim heiligen Gennaro!», rief der Neapolitaner.«Ich werd’ dir geben, was du verdienst!», fuhr er fort und spuckte ihm ins Gesicht.«Mich monatelang im tiefsten Kerker schmachten zu lassen, ohne dass ich je einen Richter zu Gesicht bekam! Aber warte nur, wenn ich reden kann, dann werde ich alles ausplaudern, hörst du, alles!»
« An den Galgen, an den Galgen mit ihm!», riefen sie.
« Er hat uns verraten, er ganz allein!»
« Wir wissen alles, Leugnen hat keinen Sinn!», riefen sie, indem sie auf ihm herumsprangen und wild mit den Füßen nach ihm traten.«Endlich bist du auch hier gelandet! Es lebe die Gerechtigkeit!»
Alle waren von der gleichen Wut besessen; die Doktoren im Mantel, die Stutzer und die Hemdsärmeligen misshandelten ihn um die Wette, allen voran Giorgetto mit dem dazugehörigen ohrenbetäubenden Gezeter auf Neapolitanisch. Bis dahin hatte dieses Gesindel sich in Kämpfen untereinander aufgerieben und bekriegt; die Adligen aus Padua behaupteten, der Vorwitz derer aus Treviso sei am Scheitern des Unternehmens schuld, die einen wie die anderen bezichtigten sich wechselseitig der Faulheit, und alle zusammen gingen auf die beiden alten Doktoren los, deren übertriebene Vorsicht die Ursache allen Übels gewesen sein sollte. Doch mehr als sie alle miteinander lärmten und tobten drei Studenten aus Padua, die, vom Gerichtsdiener im Schlaf überrascht, keine Zeit gehabt hatten, sich anzukleiden, und nun so gut wie im Hemd dastanden. Die Verwünschungen dieser Letzteren galten keineswegs nur ihren Genossen, denen sie ihr Unglück verdankten, sondern auch der Durchlauchtigsten Signoria, dem Rat der Zehn und vor allem den Inquisitoren, die sie eine zehnstündige Reise von Padua nach Venedig im Burchiello 110 hatten machen lassen, ohne ihnen Kleidung auszuhändigen. Als die anderen sie derart fluchen hörten, empfahlen sie ihre Seelen Gott und schrien selbst noch lauter, um diese aufwieglerischen Reden zu übertönen; damit erreichten sie aber lediglich, dass die drei Besessenen mit verdoppelter Kraft brüllten, sodass der Sekretär des Rats am anderen Ende des Palasts, ohne Spione oder sonstige Hilfsmittel bemühen zu müssen, ihre Reden gleichsam im Diktat mitschreiben konnte.
Schließlich war Graf Carmini eingetreten und hatte die geballte Wut, die schon nicht mehr wusste, gegen wen sie sich wenden sollte, auf seine Person gezogen; und da die Kunde von seinem Verrat unter diesen Unglückseligen kunstvoll, wie nur im Gefängnis möglich, ausgestreut worden war, fand er alle bereit und zu seinem Unheil verbündet, und da war keiner, selbst unter den Schwächsten und Feigsten nicht, der nicht seine Zähne und Nägel an ihm erproben wollte. Dieses Martyrium hätte kein Ende mehr gefunden, wäre nicht ein Türchen aufgegangen und hätte ein Kopf hereingeschaut, der Ruhe befahl und jedem, der dem anderen auch nur ein Haar zu krümmen wagte, Strafe androhte. Dieser Befehl hatte die Wirkung des magischen quos ego des Vergil, 111 und der ganze Haufen zog sich murrend ans andere Ende des Raums zurück, während der Graf halb
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