Ein Engel an Güte (German Edition)
wie Himmelsmusik klänge.
« Ich fürchtete, dich nie mehr wiederzusehen, mein Engel», hob Celio abermals an, das Gesicht von heiligem Eifer belebt, den sie ihn zu guter Letzt doch gelehrt hatte.
Das Mädchen erschauderte am ganzen Leib, erhob sich und zog Celio an beiden Händen empor.« Was habt Ihr gesagt?», fragte sie ihn.
« Ich fürchtete, es könnte mir auf lange Zeit verwehrt sein, dich zu sehen», antwortete der junge Mann sanft.
« Und warum?», fragte das Mädchen.
« Weil ... weil ...», stammelte Celio.
« Ich kenne dieses ‹weil›!», rief Morosina.«Entgegen den guten Absichten derer, die an Euch denken, den Gebeten und Beschwörungen derer, die Euch... lieben, ja, nachgerade gegen den Willen Gottes wollt Ihr um jeden Preis Euer junges Leben einem kindischen Hochmut zum Opfer bringen!»
« Ach, Morosina!», rief er.
« Schweigt!», fuhr sie fort.«Es ist Euer höchster Vorzug, im Übermaß das zu besitzen, was andere gewöhnlich nicht einmal dem Namen nach kennen. Doch Übertreibung nach der einen wie nach der anderen Seite ist immer Indiz einer mittelmäßigen Seele. Geradeaus auf der breiten Straße soll man wandeln, um weder sich selbst noch anderen etwas vorwerfen zu müssen; man sollte die Wohltaten anderer und die Gnade Gottes mit derselben Miene hinnehmen, womit man auch Schandtaten und Schicksalsschläge erträgt, wenn man stark, wahrhaftig und großherzig sein will!»
« O Gott...! Wenn du wüsstest», rief Celio und ergriff eine ihrer Hände, die sie ans Herz gepresst hielt.
« Ich weiß alles!», fuhr das Mädchen fort.«Alles weiß ich, sage ich Euch, und was Ihr mir vor drei Tagen zu verstehen gabt, wurde mir gestern Morgen, ja, eben heute von meinem Gatten auseinandergesetzt. Dass Ihr Euch in ein Komplott verstricken ließt, wo allem Anschein nach Anmaßung und Gemeinheit sich abmühen, den Neid zur Rebellion anzustacheln, ist entschuldbar durch jugendlichen Leichtsinn. Aber Ihr solltet wissen oder zumindest daran glauben, dass Großes nur großen Empfindungen entspringt; als Mann von Geist und Herz solltet Ihr das wissen! Auf anderen Wegen, glaubt mir, wird Gott uns und unser Venedig läutern, nicht durch die Umtriebe anmaßender und verdorbener Männer, zerfressen von Ehrgeiz und Hass, mit denen sich nur wenige großmütige, aber irregeleitete Geister zu ihrem eigenen Schaden zusammentun. Die geistige Reinheit und Lauterkeit des Herzens eines Fischverkäufers werden in Zukunft mehr ausrichten als alles Bemühen jener.»
Noch von keinem Menschen auf der Welt hatte Celio je so hochherzige und verständige Reden gehört. Zuweilen war ihm schon Ähnliches durch den Kopf gegangen, aber das waren nur flüchtige Geistesblitze gewesen, nach deren Verglühen jugendliche Unrast sein Gemüt wieder in Verwirrung stürzte. Als er die junge Frau, die ihm gestern noch so schlicht und bescheiden erschienen war, in dieser Weise reden hörte, hätte er sie beinah für eine Heilige gehalten, und einen Augenblick lang trug – o Wunder über Wunder – Hochachtung den Sieg über seine Liebe davon und ließ sie ihn fast vergessen. Er gab die Hand des Mädchens frei, faltete die eigenen Hände vor der Brust und war im Begriff, erneut vor ihr niederzuknien, diesmal zum Zeichen der Verehrung.
« Stimmt es etwa nicht?», begann Morosina wieder.« Und Ihr wollt nun Eure Freiheit, vielleicht sogar Euer Leben dem Urteil von Menschen zum Opfer bringen, die beschränkt im Geiste und ehrlos sind? Ist das Euer Begriff von Größe und Freiheit der Seele, dass Ihr Euch zum Sklaven der schändlichsten Geschöpfe macht, indem Ihr vor ihren Verleumdungen erzittert?»
« Ihr habt recht!», murmelte Celio.
« Ja, tausendmal habe ich recht», fuhr das Mädchen mit vermehrtem Eifer fort.«Und nun seid darauf bedacht, Euch von diesem unglückseligen Haufen loszusagen. Das Werk unserer Erneuerung hat vielleicht schon begonnen; begonnen hat es aber fern von jenen, und in seinem Fortschreiten und Gedeihen wird es sich immer weiter von ihnen entfernen. Vielleicht kommt ja die Zeit, da am helllichten Tag, aus der Fülle des Lebens heraus und nicht in einem dunklen Kerker oder am Galgen, tapferes Handeln, bedingungslose Ergebenheit und unerschütterlicher Glaube von Euch verlangt werden wird! Dafür haltet Euch bereit, und versteift Euch nicht darauf, eine Sache zu der Eurigen zu machen, die, weil gemein, erbärmlich und ungerecht, die Eure nicht ist.»
Celio war verblüfft, aber nicht überzeugt. Er empfand die
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