Ein Engel an Güte (German Edition)
aussieht!»
Morosina beobachtete und schwieg. Ihr galten Sünder, Unschuldige oder Verführte gleich, und dieser Mann, der, wie sie am Ernst der Vorhaltungen erkannte, schwerste Schuld auf sich geladen haben musste, schien ihr daher weder Anlass zu Furcht noch zu Abscheu zu geben.
« Betet zum Herrn, und alles Weitere überlasst Seinem weisen Ratschluss», sagte sie zu Tramontino gewandt.
« Ja», fügte Formiani hinzu,«aber zu Gott beten heißt, so viel Gutes tun, als man vermag; und das muss in deiner Lage dein ganzes Bestreben sein, um Seine Verzeihung zu erlangen.»
« Danke, danke!», antwortete der Gebirgler und weinte wie ein Kind.
« Ich habe dich rufen lassen», hob der Alte etwas lebhafter wieder an,«weil es dir freisteht, in den Mantello zurückzukehren, und dort wirst du die fünfzig Dukaten Pension erhalten, die der Rat dir zugestanden hat. Würdest du vielleicht gern anderswohin gehen?»
« O nein, nein!», rief Tramontino unter Schluchzen.« Ich kehre in mein Häuschen zurück, das mich an meine arme Polonia erinnert, an mein Glück, mein Unglück und meine Schuld...! Ich kehre dorthin zurück, wo ich geboren bin und wo ich, so Gott will, sterben werde.»
« Nun gut, hier unten wirst du meine Gondel nehmen, damit fährst du zum Dogenpalast und holst deine Sachen, sodann weiter nach Mestre; von dort helfe Gott dir weiter; aber es wäre gut, wenn du noch vor morgen Mittag in Asolo wärst.»
« Ich werde vor acht dort sein», antwortete Tramontino und trocknete sich die Tränen.
« Gut, dann pass gut auf, was ich dir jetzt sage», fuhr der Kranke fort, der seiner Stimme durch bloße Willenskraft Festigkeit und Klarheit zu verleihen schien.«Du wirst den Podestà Valiner aufsuchen, Signora Cecilia, den Gerichtsschreiber Chirichillo und Cavalier Terni, Leute, die du gewiss kennst.»
« Ja, Exzellenz!»
« Nun, du wirst ihnen sagen, dass sie alle sich morgen Abend hier einfinden sollen, wenn sie mich noch am Leben finden wollen.»
Morosina machte eine Gebärde echten und verzweifelten Schmerzes.
« Ach, das ist nur so eine Redensart», murmelte Formiani, der bereute, dass er sich diese Worte hatte entschlüpfen lassen.«Das ist nur, um ihnen Eile zu machen, damit sie bald kommen. Hast du verstanden, Tramontino?»
« Es soll geschehen», antwortete dieser.
« Und vor Mittag.»
« Vor acht.»
« Nun ruf ruhig Bernardo, er wird dich bis Mestre begleiten.»
Der Cappanera trat ein, und auf ein Zeichen seines Herrn sagte er Tramontino, dass die Gondel bereit sei. Da fiel dieser vor dem Bett des Inquisitors auf die Knie, ergriff dessen Hand, küsste sie wieder und wieder und erging sich in Danksagungen.
« Genug, genug», sagte der Kranke sanft.«Und sei wieder der Ehrenmann, der du ehedem gewesen bist!»
« Zweifeln Sie nicht daran, Exzellenz!», antwortete Tramontino, während er dem Cappanera zur Tür folgte und die Hand auf sein Herz legte.« Eher lasse ich mich umbringen, als dass ich es noch einmal wage, zu meiner Verteidigung auch nur einen Finger zu rühren.»
« Leb wohl», sagte der Kranke. Und als der andere gegangen war, setzte er hinzu:«Ich erhoffe mir Gutes von ihm; besser hätte man dem Marcoligo den Kopf abgeschlagen als diesem hier.»
Formiani verbrachte eine ausgesprochen ruhige Nacht, und Morosina hoffte, die Besserung würde am folgenden Tag weiter fortschreiten; doch dem war nicht so, im Gegenteil, heftiges Fieber befiel ihn, das bedrohlicher war als die Entkräftung vom Abend zuvor. So verschlimmerte sich sein Zustand bis zum Mittag, und obwohl der Arzt Morosina viel Tröstliches sagte, war doch klar, dass der Kranke um diese barmherzige List wusste und dass die beiden sich vermutlich abgesprochen hatten, um sie zu beruhigen. Gegen zwei Uhr nachmittags tat ein sehr starkes Beruhigungsmittel vorzügliche Wirkung und stärkte die Kräfte des Greises aufs Wunderbarste, sodass er sich zu seiner Gattin wandte und sie liebevoll ans Herz drückte.« Arme Morosina!», sagte er,«ich habe dich sehr, sehr unglücklich gemacht, wo es doch vor vier Monaten, wenn ich dich recht gekannt und zu schätzen gewusst hätte, in meiner Hand lag, dich glücklich zu machen ... Oh, ich bereue das bitter, sehr bitter, musst du wissen!»
« Aber, was sagt Ihr denn da?», stammelte das Mädchen.«Ihr habt mir stets mehr Liebe und Achtung erwiesen, als ich verdiene!»
« Hab Dank, vielen Dank für deine guten Worte», antwortete der alte Herr, indem er ihr die Hand aufs Haupt legte.«Aber ich
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