Ein Engel an Güte (German Edition)
versichere dir, wenn der Tod näher rückt, sieht man die Dinge klar, da ist es nicht länger möglich, das Gewissen zum Schweigen zu bringen!»
« O Gott!», rief das Mädchen weinend.«Aber wozu martert Ihr Euch denn so, Ihr, die Ihr mich stets wie eine Tochter geliebt habt? An mir ist es, Euch zu danken und die Muttergottes zu bitten, dass sie Euch noch viele Jahre zu unser aller Wohl am Leben erhält.»
« Chirichillo hat mich nicht verraten», dachte Formiani, und er wusste dem Gerichtsschreiber Dank, dass er ihm die Achtung und die Dankbarkeit der Gattin bewahrt hatte.«Genug!», sagte er laut.«Gott hat mich fast vierundsiebzig Jahre am Leben erhalten, damit ich einem Engel begegne; und eine große Sünde ist mir nun Grund für tiefste Reue...! Gepriesen sei Seine Güte...! Gegen Ihn sind wir Politikaster hier unten doch bloß erbärmliche Wesen! Wir wollen nach links, und da macht Er, dass wir uns nach rechts wenden...! Ich hoffe, Er wird mir vergeben...! Und auch du, du wirst mir auch vergeben, nicht wahr, meine liebe Morosina?»
« Euch vergeben? Aber was denn nur...? Ihr, Ihr vielmehr vergebt mir eine schwere Schuld, die mir auf der Seele lastet, dass ich Euch nicht all meine Gefühle bekannte, bevor ich den Trauring empfing.»
« Oh, du bist ein Engel!», antwortete der Greis gerührt.«Sogar Schuld wird in deinem Herzen zur Tugend!»
Da vernahm man das Geräusch von eiligen Schritten auf dem Korridor, dann sprang plötzlich die Tür auf, und eine kleine, untersetzte Frau stürzte mit ausgebreiteten Armen und Tränen in den weit aufgerissenen Augen auf das Bett des Inquisitors zu.
« O Nicoletto! Mein armer Nicoletto ...», rief sie verzweifelt.«Wie schlecht du aussiehst, mein armer Alter...! Oh, ich Unglückliche!»
Formiani, zunächst überrascht von diesem unerwarteten Überfall, schob sie, die ihn unbedingt umarmen wollte, sanft von sich.«So seid doch vernünftig, Cecilia...! Seid vernünftig!», sagte er.« Kommt, wir sind doch keine Kinder mehr...! Fasst Euch...! Tröstet lieber Eure Tochter, die Ärmste ...! Los, wendet Euch ihr zu und umarmt sie! Sie hat Eure Stelle eingenommen und mich bis jetzt gepflegt...!»
Morosina sah ihre Stiefmutter jetzt zum ersten Mal und näherte sich ihr mit allem Respekt, um ihr die Hand zu küssen.
« Los, Cecilia, ein wenig Herz!», fing Formiani wieder an.«Vor einem Jahr noch hattet Ihr sogar zu viel davon!»
Die Edeldame schien in heftigstem Kampf mit sich selbst zu liegen; schließlich siegte das Gute, und wenn auch unter Schluchzen und Stöhnen, so drückte sie Morosina doch mehrmals an ihren Busen.
« Ja, du bist eine gute Tochter, ich weiß!», murmelte sie mit gebrochener Stimme.«Ja ... hier einen Kuss... Die Zeiten der Eifersucht liegen ja nun leider hinter mir...! Hier, noch einen, du hast es verdient!»
« Und der Podestà und Chirichillo und der Cavalier Terni?», fragte der Kranke.
« Ach ja, sicher, ich hatte sie ganz vergessen...! Kommt herein, meine Herrschaften, kommt nur», sagte Signora Cecilia, zur Tür gewandt.
Mit gesenktem Haupt und schwärzer denn je betrat nun der Gerichtsschreiber den Raum, hinter ihm auf Zehenspitzen der Podestà, dessen Augen noch einen halben Zoll weiter aus den Höhlen hervorquollen als gewöhnlich. Zuletzt kam Celio, dessen ganze Erscheinung von Schmerz und stiller Ergebung gezeichnet war.
« Da seid ihr ja alle», sagte Formiani so laut und vernehmlich, wie man es bei einem Mann, der wie eine niedergebrannte Lampe dem Erlöschen nahe ist, nicht erwartet hätte.«Cecilietta, kommt her! Ihr habt mir ja einiges zugemutet, seinerzeit...! »
« Oh, um Himmels willen, Nicoletto, um Himmels willen!», kreischte jene.
« Kommt, seid ganz unbesorgt!», entgegnete der Alte.«Ihr habt deswegen ja auch schon schwere Buße getan; und im Übrigen weiß ich, dass nur Euer lebhaftes, ungestümes Naturell an allem schuld war; und dass da im Grunde viel Gutes ist...!»
« Oh, ich schwöre es dir, Nicoletto, dass ich nie etwas aus böser Absicht getan habe!»
« Ja, ja, das glaube ich schon, und deshalb gebot die Gerechtigkeit, dass wir im Angesicht des Todes Frieden schließen...! Verzeiht Ihr mir also meine Strenge gegen Euch?»
« Ach du, verzeih du mir lieber meine Launen», rief Signora Cecilia weinend.«Oh, was ich dir alles zugemutet habe, armer Nicoletto ...!»
« Also der Frieden ist geschlossen!», sagte der Kranke froh.«Reicht mir die Hand, und alles soll vergessen sein... Ich bitte Euch nur, Euren
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