Ein Engel an Güte (German Edition)
beugen musste...! Denn Venedig wird fallen; ja, es wird fallen, Celio, wie das assyrische, das babylonische, das römische Reich gefallen sind, wie jede menschliche Einrichtung fällt, wie auch ich sterbe, durch das Wirken dieser geheimnisvollen und unheilbaren Krankheit, genannt ‹Zeit›.»
« Oh, um Himmels willen!», rief der Cavaliere voller Glut.«Um Himmels willen, lasst dies nicht Euer letztes Wort sein...! Für jedes Leid gibt es einen Trost, für jede Krankheit ein Heilmittel, in jedem Unglück eine Zuversicht, nach den ewigen Gesetzen der Natur...! Um Himmels willen, wenn da noch irgendwo ein Hoffnungsschimmer ist, zeigt ihn mir... und dann mögen sich meine Augen für immer schließen..., wenn es sein muss!»
« Ja, ich sehe Licht, das allbelebende Licht!», rief Formiani, wie angesteckt von der Begeisterung des jungen Mannes.«Ein Geist, ein Geist ist vonnöten; aber ein großer Geist, ein mächtiger Verstand und ein Wille aus Stahl...! Zerbrechen, zerschlagen, zerstören, das ist seine Aufgabe; und aus dem wenigen, was bleibt, eine festgeschlossene mazedonische Phalanx 127 bilden und so den Übergang schaffen zu besseren Zeiten und besseren Generationen. Celio, trägst du einen solchen Geist in der Brust?», rief der Inquisitor und richtete sich halb auf.«Hast du einen solchen Verstand, solche Willenskraft?»
Celio streckte die Hände zum Himmel empor, und so hielt er sie eine Weile, wie von übermenschlicher Eingebung erleuchtet; die Arme jedoch sanken ihm herab, und die wie zu einer Befragung Gottes und der Zukunft nach oben erhobene Stirn neigte sich.
« Ich bin allein!», murmelte er; und der eben noch als ein Held erschienen war, weinte nun wie ein Kind.
« Du hast recht! Du bist allein!», wiederholte Formiani und fiel wie tot zurück auf das Kissen.
Celio wischte sich die Tränen ab, als schäme er sich dafür, und beugte sich an sein Ohr.«Ich bin allein», antwortete er,«aber meine Kinder werden nicht allein sein, weil das Unglück zu großmütigen und edlen Gefühlen erzieht. Ich bin allein, aber die Enkel werden zu Tausenden sein, die Urenkel Millionen!»
Bei diesen Worten des Cavaliere schien Formiani sich wieder zu beleben und selige Zuversicht an die Stelle der fiebrigen Erregung zu treten, die zuvor von ihm Besitz ergriffen hatte.« Ja, ja», erwiderte er mit halb erloschener, aber fester Stimme,«du erteilst dem alten Inquisitor noch eine Lektion. Die Zeit, die Zeit, sie ist unser Verbündeter, unser Rächer! Hoffen wir auf die Zeit!»
« Hoffen wir auf die Zeit und auf den, der über sie gebietet», erwiderte Celio feierlich.
Der Inquisitor faltete die Hände und hob den Blick zum Himmel.«Celio», sagte er nach kurzer Sammlung,«Gott schenke dir ein langes Leben und vielleicht Ruhm. Da ich zwei Seelen wie dich und Morosina auf der Welt weiß, scheide ich nicht ohne Hoffnung aus diesem Leben.»
Bald darauf trat das junge Mädchen wieder ein und sah ihre Rechte durch die Hand ihres sterbenden Gemahls mit der Celios vereint. Von welch unterschiedlichen Empfindungen diese drei Seelen erfüllt sein mochten, die von sehr weit auseinanderliegenden Positionen ihren Ausgang genommen hatten und nun am Rand eines Grabes in einem einzigen großen Gefühl zusammenfanden, werden viele zu erahnen, wir aber nicht zu beschreiben in der Lage sein. Am zufriedensten von den dreien war aber gewiss der Sterbende, der mit einer guten Tat aus einem Leben beständiger Enttäuschung sanft in die Ewigkeit der Hoffnung einging.
Tags darauf verschied Niccolö Formiani in den Armen seiner Gemahlin, unter den Tränen seiner und unserer Freunde; ein Mann, der ausnahmslos alle Gaben des großen Staatsmannes und ausnahmslos alle Laster des venezianischen Edelmanns in sich vereinte: Erstere durch die Schlechtigkeit der Zeiten und der Menschen beeinträchtigt; die anderen gemildert durch die für seine Heimat und seine Zeit typische, einzigartige Güte, die verhängnisvollerweise vielleicht gerade die verdorbensten Naturen in einem barmherzigen und schmeichelhaften Licht erscheinen lässt.
Seinem Willen gemäß wurde drei Tage später im Beisein Morosinas, Valiners und dessen Frau, des Cavalier Terni, Chirichillos und Don Gasparos sowie eines Abgesandten des Dogen das Testament, welches das Datum des letztvergangenen August trug, durch Bernardo, den Cappanera, eröffnet. Darin wurde Morosina zur Alleinerbin der Besitztümer Formianis eingesetzt, mit der Auflage, die Kammerdiener, Diener, die Frauen und das
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