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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
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kein Gefühl seine Färbung beibehält, dass alles hier schöner und lieblicher wird, es für alles Trost oder Vergessen gibt – eine ganz und gar einzigartige Magie des Orts, weshalb ein Lächeln hier dicht bei den Tränen liegt, Feigheit neben Heldenmut, Aufrichtigkeit neben Heuchelei und Freude nah beim Leid. Entsprechend gestaltet sich das Leben seiner Bewohner, gleichbleibend sind darin nur die plötzlichen Umschwünge: fröhlich wie die Morgenröte auf der Piazzetta, schwermütig wie der Mond auf dem Grund eines Kanals, leicht wie ein Taubenschwarm auf der Piazza San Marco, bedächtig wie die Weisen im Rat der Republik, spottlustig wie eine Maske, bigott, scheu, schwatzhaft wie ein Weib aus dem Castello 36 , unerschrocken und geduldig in Seemannskleidung, bescheiden in den Lumpen des Fischers, hochmütig auf den brüchigen Seiten des Goldenen Buches, mehr noch als seine Baudenkmäler durchströmt von wahrer, lebendiger Poesie. Wer das nicht sehen und glauben will, der ist arm dran, alldieweil Gott ihm nicht die Macht verliehen hat, die glühendsten Strahlen des Schönen, die im Stillen unter den Menschen wirksam sind, in sich zu bündeln und von der Zeit die Offenbarung ihres Lichts zu erhoffen.
    Während also die Äbtissin der Seraphinerinnen mit großen Schritten das Refektorium durchmaß und über die mangelnde Barmherzigkeit der jungen Damen wetterte und diese bei jeder ihrer Kehrtwendungen tuschelten und sich über eine solche Anwandlung von Angst und christlichem Eifer lustig machten, schmückte Morosina hingegen die herrliche Szenerie des Canal Grande mit Liebesbildern aus. Der Palazzo Formiani lag genau an jener Stelle, an der der Kanal eine majestätische Biegung macht und nach allen Seiten hin den Blick auf die unendliche Flucht seiner marmornen Paläste freigibt. Kaum dort angekommen, sprang der Ruderer vom Vorderboot rasch auf die Landungstreppe, vertäute das Boot und reichte dem Cappanera die Hand, der wiederum Morosina die seine darbot; der zweite Gondoliere schulterte die schäbige Kiste des Mädchens und verschwand damit im Hauseingang und über die Treppe nach oben.
    « Das gnädige Fräulein», begann Bernardo, der neben der jungen Frau nun ebenfalls die Stufen hinaufstieg,«wird bis zur Stunde des Mittagsmahls mit der Gesellschaft der Kammerzofen vorliebnehmen müssen. Seine Exzellenz weilt gegenwärtig im Regierungspalast, doch nach seiner Rückkehr wird er sofort von Ihrer Ankunft unterrichtet werden.»
    « Danke», antwortete das Mädchen schlicht, wobei sie einen langgestreckten Saal betrat, an dessen beiden Enden jeweils ein dreiflügeliges Fenster mit verziertem Bogen angebracht war.«Ich werde warten, wo Ihr es wünscht, bis es Seiner Exzellenz beliebt, nach mir zu fragen.»
    « Hier entlang», sagte Bernardo mit einer Verbeugung und wies auf eine kleine Tür, die auf einen Korridor ging.
    Doch als Morosina eben in diesen hinaustreten wollte, kamen da lachend und sich neckend zwei Mädchen dahergestürmt, in offenen Hauskleidern, das volle Haar halb gelöst auf die Schultern herabfallend, ganz Lust und Leben, zwei reizende Persönchen. Als sie auf Morosina trafen, nahmen sie ein wenig Haltung an, aber nur, um den Tonfall ihrer Geplappers zu ändern, das sich nun in Ausdrücken des Lobes, Anerbieten und Höflichkeitsfloskeln erging, sodass das Mädchen, obwohl von den Seraphinerinnen an solche Szenen gewöhnt, doch verblüfft war. Schließlich hakten die beiden sich rechts und links bei ihr unter und zogen sie mit sich durch diesen Korridor und über eine Treppe ein Stockwerk höher bis in ihre Gemächer. Diese Räume bildeten keine Einheit mit dem Palast, sondern lagen in einem angrenzenden Gebäude von bescheidenerem Äußeren,«Palazzina »genannt, das über eine Treppe einen eigenen Zugang zum Kanal sowie einen gesonderten Ausgang auf den Campiello hatte. Doch war es auf allen Ebenen durch Türen und Durchlässe mit dem Palast verbunden, dem es als Garderobe und Gästeunterkunft diente.
    Das Zimmer der Mädchen schildern zu wollen, in das Morosina nun als Erste eintrat und wo ihre Kiste Platz gefunden hatte, würde selbst den versiertesten flämischen Genremaler in arge Verlegenheit bringen. Luxus, Schlamperei, Müßiggang und Putzerei hatten hier in wirrem Durcheinander ihre Spuren hinterlassen, und man hätte nicht zu sagen gewusst, was davon vorherrschend war. Hier und da standen vergoldete Stühle herum, wacklige Schemel, umgeworfenen Sessel; darauf zerrissene Gewänder,

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