Ein Engel an Güte (German Edition)
Dich im Sprechsaal der Hochwürdigen Seraphinischen Schwestern in Empfang zu nehmen. Du solltest diesem trefflichen und vornehmen Herrn gehorchen, als ob ich selbst es wäre, und Dich ihm gegenüber als gute und ehrerbietige Tochter erweisen, bis es Seiner Exzellenz beliebt, Dich nach Asolo zu schicken oder in andere Weise über Dich zu verfügen. Die edle Frau Cecilia reicht Dir die Hand zum Kuss; Chirichillo lässt Dich grüßen, ich erteile Dir von ganzem Herzen meinen väterlichen Segen usw.»
Tonfall und Inhalt des Briefes waren nicht dazu angetan, Morosina zu beruhigen und sie über das neue Abhängigkeitsverhältnis aufzuklären, in das sie, dem Klosterjoch kaum entronnen, eintreten sollte. Ihre Seele, die nun schon seit einem Monat in den Hoffnungen auf ein freies Lebens jenseits dieser Mauern geschwelgt hatte, durchfuhr ein eisiger Schauer. Fassungslos blickte sie der Klosterschwester ins Gesicht, dann der schwarzen Gestalt, die sie, wie sie sich jetzt entsann, an jenem abendlichen Empfang bei Formiani gesehen hatte, aber die beiden Personen, obwohl verschiedenen Geschlechts, waren sich doch so ähnlich in der Undurchdringlichkeit ihrer Erscheinung, woraufhin Morosina klar wurde, dass sie nur bei Gott Erleuchtung finden könne. Ihm empfahl sie sich mit einem Blick und antwortete leise, aber gefasst, sie sei wie immer bereit, den Befehlen ihres Vaters zu gehorchen.
« Hier draußen wartet die Gondel», antwortete mit der üblichen Verbeugung der Cappanera,«in zehn Minuten können Euer Gnaden beim Palast Seiner Exzellenz sein.»
« Dann gehen wir!», entgegnete das Mädchen mit einem Seufzer, und nach zwei Worten des Dankes für die Schwester steuerte sie auf die Tür zu, dicht gefolgt vom Cappanera. Schon im Begriff, die letzten Stufen hinabzusteigen, hörte sie eine teilnehmende Stimme verstohlen ihren Namen rufen.«Signora Morosina, Signora Morosina!»
Sie wandte sich um, es war die alte Laienschwester, die eine Stunde zuvor ihre Kiste in die Gondel geschafft hatte.«Signora Morosina», flüsterte sie ihr ins Ohr, mit einem misstrauischen Blick auf Bernardo, der die Gondel an die Kaimauer brachte.« Signora Morosina, ich bitte Sie, schließen Sie mich in Ihre Gebete ein, denn Sie sind wahrhaftig ein Engel; und wenn Sie irgendetwas von hier benötigen, dann fragen Sie nach Schwester Agata, und vor allen Dingen», setzte sie leiser hinzu,«vor allen Dingen vertrauen Sie niemandem hier in Venedig... auch Seiner Exzellenz nicht!»
Nach diesen Worten verabschiedete sie sich noch einmal laut und vernehmlich von Morosina und zog sich in ihr Pförtnerstübchen zurück. Die war völlig verwirrt von diesen Worten, doch der Cappanera, der sie mit größter Wachsamkeit unablässig im Auge behalten hatte, obwohl er sich den Anschein gab, als würde er nach der entgegengesetzten Seite schauen, erlöste sie alsbald aus dieser Konsternation, indem er ihr zum Einsteigen in die Gondel den Arm bot.
« Danke», sage Morosina mit einem Lächeln, stützte sich leicht mit der Hand auf den dargebotenen Arm und sprang auf den Rand der Gondel, die ins Schwanken geriet.
« Hach», rief sie, in kindischer Furcht zusammenschaudernd; doch gleich darauf lachte sie mit fröhlichem Übermut über ihre Schreckhaftigkeit und ließ sich im hinteren Teil des Gefährts nieder.
Das Schaukeln der Barke, die Paläste, an deren Fuß sie dahinglitt, das Helldunkel und die Abgeschiedenheit in diesem beweglichen Gehäuse, die Mittagsbrise, die ihr übers Gesicht strich, hatten bald die Zweifel des Morgens, die heimlichen Ratschläge der Laienschwester und sogar die Ungewissheit über ihre neue Lage im Hause eines Herrn, den sie nur von einer einstündigen Klostervisite kannte, verscheucht. Beim Anblick dieser äußeren Dinge richtete sie sich allmählich wieder auf, und schon bald erreichte sie im Gedanken an Celio den Gipfel aller paradiesischen Träume und kam dort zur Ruhe wie die Seele am Busen Gottes.
So ist es, das Wesen der Jugend – von der Bosheit anderer verursachte Ängste schlagen darin keine Wurzeln, eine frohe Erinnerung, eine Ahnung von Liebe, die Hoffnung auf künftiges Glück verscheuchen derlei Ängste, mit denen der Welterfahrene sich gegen feindliche Angriffe wappnet wie mit einem Harnisch und nicht bemerkt, dass die Last der Rüstung ihn weit eher zu Fall bringen kann als die befürchteten Schläge. Und darin liegt ja der einzigartige Zauber Venedigs, dass angesichts der betörenden Ausblicke, die es überall bietet,
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