Ein Engel an Güte (German Edition)
die Zeiten erinnert Ihr Euch noch?»
« Ach, ich doch nicht!», gab Giuliana brummend zurück.«Veronica ist’s, die sich erinnert.»
« Ich, ich? Glaubt ihr das bloß nicht!», rief eine andere Megäre und trat, ganz gelb und kahlköpfig, ebenfalls auf den Balkon heraus.«Ich bin zwei Jahre jünger als sie, müsst Ihr wissen!»
« So so, Großmütterchen, wenn es darum geht, mit ihr zu zanken, seid Ihr also durchaus nicht taub!»
« Ich und taub...? Die, die heute auf die Welt kommen, mein Kind, die werden taub», entgegnete Veronica,«aber wir von dazumal, wir gehen heim zu unserem Schöpfer und haben unsere Sinne alle beieinander.»
« Ei, wem wollt Ihr denn das weismachen?», erwiderte Moretta.«Ihr habt wohl schon einiges verloren, ohne es zu merken, und um nur eins zu nennen: Wo sind denn Eure Zähne?»
« Verflucht! Das war mein Mann, Gott hab ihn selig, der hat sie mir mit der Faust ausgeschlagen.»
« Da kommt die Gondel Seiner Exzellenz vom Rialto herüber! Schnell, schnell!», rief Giuliana und eilte mit ihrem Besen ins Zimmer zurück.« Schnell, du Schwätzerin, sehen wir zu, dass wir diese lästige Sache hier hinter uns bringen.»
« Das Täubchen hat uns gerade noch gefehlt», schimpfte Veronica, auf dem Boden kniend, den sie wütend mit einem Lappen bearbeitete.«Ich kann mich nicht entsinnen, je solche Dienste getan zu haben! Und die zwei da oben legen die Hände in den Schoß oder stehen unten am Haustor herum... basta, es reicht!»
« Zu unserer Zeit, ja, da hatte man wenigstens noch Respekt!», fing Giuliana wieder an.«Erinnert Ihr Euch noch an die gute alte Angela? Und an diese andere ... wie hieß die noch?»
« Meint Ihr Fiorina?»
« Genau, Fiorina; Fiorina, die von früh bis spät schimpfte. Doch am Ende schufteten beide ganz ordentlich, nicht wahr, und wir konnten mit dem Majordomus ein Schwätzchen halten, mit den Kammerdienern oder mit Don Gasparo ... und gelegentlich auch mit einem netten Cavaliere, nicht wahr...? Erinnert Ihr Euch?»
Veronica seufzte und warf den Lappen, den sie in Händen hielt, zum Fenster hinaus.
« Und jetzt haben uns diese beiden Luder unter der Fuchtel! Ist das vielleicht gerecht, hm?», fuhr Giuliana fort und verteilte das bisschen Staub, das sie zusammengekehrt hatte, mit dem Besen wieder in der Gegend.«Jetzt reichts’s, die Hütte ist schon viel zu sauber für eine Bernabotta!», stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
« Willst du wohl still sein!», rief Veronica mit einem bestürzten und zugleich geheimniskrämerischen Ausdruck.«Willst du wohl still sein, wir wissen doch nicht, was Seine Exzellenz mit ihr vorhat!»
« Das wissen wir nicht? Je nun, das, was er mit den anderen auch gemacht hat!»
« Wenn er könnte!», versetzte da Veronica grinsend.
« Basta», sagte Giuliana, indem sie die Fensterläden zuzog.«Auch das wäre erledigt, und die Residenz für Ihre Majestät die Lumpenkönigin ist bereit.»
Unterdessen hatten die beiden Zofen Morosina geraten, hinunterzusteigen und Seiner Exzellenz entgegenzugehen; da sie gewohnt war, alle Gesichter bei der Nennung seines Namens erbleichen zu sehen, tat sie es widerstrebend.«Mut, nur Mut, Signorina», sagte Moretta.«Seine Exzellenz ist ein ganz umgänglicher Mensch, und ich werde Ihnen zeigen, wie man es anstellen muss, um seine Gunst zu gewinnen.»
Unter diesen Worten stiegen sie die Treppe hinab und gelangten ans Kanalufer, just als der alte Formiani, auf Don Gasparos Arm gestützt, aus der Gondel stieg.
« Guten Tag, Exzellenz! Wie war Ihre Nacht? Haben Sie gut gefrühstückt? Haben Sie heute viel reden müssen? Haben Sie unterwegs unter der Hitze gelitten? Und haben Sie jetzt Appetit?»Unter einer Flut solcher Fragen schob Moretta ihren Arm unter den Seiner Exzellenz und ging, ihn stützend, mit ihm voran.
« Willst du wohl artig sein, mein kleiner Teufel», sagte Formiani lachend.«Wie soll ich denn bei all deinem Geschwätz den Überblick behalten? Es geht mir gut, ja!»
Hier trat Adriana mit einer Verbeugung zurück, um den Herrn vorbeizulassen, und gab den Blick auf Morosina frei; die stand da in diesem tief ausgeschnittenen Kleid, schön wie nie in schamhaft jugendlicher Anmut.
« Oh», rief Seine Exzellenz.«Oh», wiederholte er noch entzückter als zuvor und ließ seinen Blick beifällig auf so viel Vollkommenheit ruhen.«Wahrhaftig, ja, du bist Morosina, mein Patenkind...! Komm her, meine Kleine, sei nicht so schüchtern und gib mir einen dicken Kuss wie damals vor
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