Ein Engel an Güte (German Edition)
Erzieherinnen, Verführerinnen und Gebieterinnen solcher Kreaturen!»
Der Cavaliere sprach mit aufrichtigem Gefühl, doch so, wie er jetzt behauptete, war es nicht immer gewesen, und viele der vornehmen Damen am Zecchinett-Tisch hätten ihn Lügen strafen können.«Hör doch, hör doch nur ihre Reden!», fuhr er fort.«Ich bitte dich, gehen wir woanders hin, wo meine Ohren, die geweiht sind durch die göttlichen Worte, die du eben sprachst, nicht länger von ihnen beleidigt werden.»
Mit diesen Worten zog er Morosina am Arm auf die rechte Seite des Balkons, wo vier Stufen zu einer kleinen, an der Ecke zwischen Canal Grande und Calle del Traghetto gelegenen Terrasse hinunterführten. Hierher flüchteten gelegentlich die Damen vor der übergroßen Hitze im Saal oder die Herren, wenn ihnen das Glück im Spiel allzu hartnäckig abhold war, weshalb ringsum überall Stühle aufgestellt waren. In diesem Augenblick war der Ort aber verlassen, nur zahlreiche Blumentöpfe mit Oleander, Nelken und Verbenen warfen im Mondlicht ihre Schatten und schirmten den Ort zum Vorteil der Liebenden nach außen hin ab.
Sei es, weil die Jahreszeit noch nicht wirklich sommerlich war, sei es aus einem anderen Grund, jedenfalls blieben sie köstliche zwei Stunden lang gänzlich ungestört. Welcher Art ihre Unterhaltung war, kann sich jeder Leser denken; Morosina freilich, die noch zu unerfahren war in der Liebe, um wortreich darüber zu reden, ließ sich zu den vertraulichsten Geständnissen hinreißen, als das Gespräch auf ihre Vergangenheit kam, mit diesem refrainartig sich wiederholenden«Weißt du noch?», worin sich die Existenz zu verdoppeln scheint; das Gegenwärtige wird zurückversetzt in das Vergangene, um in ihr ein zweites Mal zu leben; und umso zauberhafter, der Wirklichkeit umso überlegener ist diese Wiederauferstehung in der Einbildungskraft, als nur diejenigen Dinge aus der Vergangenheit vergegenwärtigt werden, die uns am teuersten und angenehmsten sind. So hatte Morosina keine Scheu, Celio ihre kindliche Neigung einzugestehen und ihre Hoffnungen auf ein Wiedersehen während jener ersten, sehr langen Trennung, ihre Freude, als diese Hoffnung in Castelfranco in Erfüllung ging, den erneuten Kummer beim Eintritt ins Kloster, die andächtige Liebe, die sie dem Petrarca-Bändchen weihte, das sie von ihm zum Geschenk bekommen hatte, die frohe Überraschung über ihre Begegnung im Sprechsaal der Seraphinerinnen und wie die Zeit sich hinzog zwischen einem Empfangstag und dem nächsten – von alldem erzählte sie ihm; von allem, sogar von der Entdeckung, oder besser gesagt, dem Eingeständnis ihrer Liebe zu ihm, das sie vor sich selbst ablegen musste, als sie meinte, eine gewisse Zurückhaltung bei ihm zu bemerken, und von dem Schmerz, aber zugleich der Freude, die diese Entdeckung ihr bereitete; kurz, von allem, außer der reinen Seligkeit dieses letzten Abends, an die zu rühren ihr wie ein Sakrileg erschienen wäre.
Noch nie hatte Celio eine Frau so ihre Worte setzen hören, mit solch jungfräulicher Farbigkeit und Frische der Bilder, mit solcher Innigkeit und Aufrichtigkeit des Gefühls; deshalb lauschte er ihr. Fern von ihr nahm er sich vor, sie ohne Umstände seinen Wünschen gefügig zu machen, hier neben ihr aber war er der Unterworfene und sie, ohne es zu wissen, Königin. Da schlug es ein Uhr.
« Das Spiel wird bald zu Ende sein», murmelte Celio,«gehen wir einmal nachsehen, wie diese Idioten unterdessen ihre Zeit totgeschlagen haben! »Bei diesen Worten erinnerte der Ärmste sich wohl nicht, dass er in seinem Leben auch schon üblerem Zeitvertreib gefrönt hatte als jene in den letzten zwei Stunden.
Als sie in den Saal zurückkehrten, war der Inquisitor nicht da, und das Spiel verlief wie gewohnt. Doch wenig später tauchte Seine Exzellenz wieder auf, und das war wie das Zeichen zum Aufbruch, also verabschiedeten sich alle binnen kürzester Zeit, und außer den Alten und Kranken brachen alle in ihren Gondeln hierhin und dorthin auf zu den üblichen Lokalen und Spielstätten, wo sich ihr Tag noch bis zum Morgengrauen hinzog. Auch Celio ging, über die halbe Treppe hinab von guten Wünschen und Einladungen des Hausherrn begleitet; und obwohl dieses unvermittelte Wohlwollen ihm hätte zu denken geben müssen, achtete er an diesem Abend nicht darauf, so sehr war er von seiner Seligkeit in Anspruch genommen. Erst als er an den Kanal gelangte, fiel ihm ein, dass er die Gondel ja ohne weitere Befehle nach Hause geschickt
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