Ein Engel fuer Emily
... hellseherischen Kräfte verraten mir, dass es in Ihrem Leben ein Problem gibt, das gelöst werden muss. Aber ich habe keine Ahnung, was für ein Problem das ist. Das muss ich erst herausfinden, ehe ich etwas unternehmen kann.«
»Welcher Art soll dieses Problem sein?« Sobald diese Worte über ihre Lippen gekommen waren, hätte sie sich dafür am liebsten auf die Zunge gebissen, aber die Art, wie er ihr die Sachlage erklärte, weckte ihre Neugier. Sie liebte es, Donald bei seinen Recherchen zu helfen. Genau genommen hatte sie eine große Schwäche für alles Geheimnisvolle und Rätselhafte.
»Ich weiß es nicht, aber was könnte so schlimm sein, dass ein Engel auf die Erde geschickt werden muss?«
»Unheil«, sagte sie. »Ein großes Unheil.«
Michaels Miene hellte sich auf. »Das stimmt. So etwas muss es sein. Ich hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, seit ich hier bin, aber das muss es sein - ein großes Unheil.« Er beugte sich näher zu ihr. »Was bedroht Sie? Welche bösen Energien umgeben Sie?«
»Mich? In einer Kleinstadtbibliothek? Sie machen Witze.« Sie hatte zur Normalität zurückgefunden und war durchaus im Stande, diesen gut aussehenden Mann auf Distanz zu halten. Aber wieso landeten sie jedes Mal allein in einem Hotelzimmer?
Er stand wieder auf und ging auf und ab. Das Handtuch rutschte ein Stück weiter herunter. Emily wünschte mit einem Mal, es würde ein Telefon in diesem Raum gehen. Sie hätte keinen Augenblick gezögert und Donald angerufen.
»Das war auch mein Gedanke. Die Stadt, in der Sie leben, ist ziemlich uninteressant, und Ihr Leben verläuft relativ ereignislos und ...«
»Ich muss doch sehr bitten«, fiel sie ihm ins Wort. »Mein Leben verläuft keineswegs ereignislos. Nur zu Ihrer Information, ich bin mit einem Mann verlobt, der vorhat, Gouverneur dieses Staates und vielleicht sogar Präsident von Amerika zu werden.«
»Nein«, erwiderte Michael ernst. »Er hat große Pläne, solange er jung ist, und im Alter ist seine Hauptbeschäftigung, jedem zu erzählen, was er hätte erreichen können, wenn ihn nicht jemand daran gehindert hätte.«
»Also, das ist ein starkes Stück«, empörte sich Emily.
»Oh, ich hatte ganz vergessen, dass Sie die Wahrheit nicht vertragen können.«
Emily ließ sich aufs Bett sinken. »Ich kann die Wahrheit sehr wohl vertragen. Und so viel ich weiß, hat Gott uns Sterblichen einen freien Willen gegeben. Selbst wenn Donald in der Vergangenheit so war - was ich übrigens nicht glaube, weil ich auch nicht an Wiedergeburt glaube -, dann könnte er sich in diesem Leben geändert haben. Habe ich Recht?«
»Absolut«, bestätigte Michael mit einem Lächeln, das Emily erwiderte. »Ich nehme alles zurück. Wo war ich stehen geblieben?«
»Sie haben mir klargemacht, dass ich langweilig bin, dass der Ort, an dem ich lebe, langweilig ist, und dass der Mann, den ich liebe, ein Fehlgriff ist«, half sie ihm überfreundlich auf die Sprünge. »Wenn Sie ein Engel sind, dann möchte ich nie im Leben einem Helfer des Satans begegnen«, brummte sie.
Michael lachte. »Na ja, vielleicht sind Sie und Ihre Stadt nicht unbedingt langweilig, aber ich kann mich nicht erinnern, Unheil oder drohende Katastrophen in Ihrer Umgebung bemerkt zu haben.«
»Vielleicht hatten Sie sich schon längst eine Meinung über uns da unten gebildet und einfach nicht richtig aufgepasst. Möglicherweise steht in Ihrem Notizbuch, dass Emily und alles, was sie auch tut, langweilig ist und dass sie in einer verschlafenen Stadt wohnt. Deshalb haben Sie sich gar nicht erst die Mühe gemacht, genauer hinzuschauen.«
Michael starrte sie eine Weile wortlos an. »Ich glaube, Sie haben da einen Punkt getroffen«, sagte er schließlich erstaunt.
»Ich? Ich kleines, langweiliges Etwas?« Im Augenblick hasste sie alle Männer. Zuerst machte Donald ihr klar, dass sie »praktisch veranlagt« sei, und jetzt erzählt ihr dieser Kerl, sie sei zu langweilig, um Böses oder Unheil auf sich zu ziehen.
Michael reagierte nicht auf ihren Sarkasmus. »Ich denke wirklich, dass da etwas dran ist. Das Gute zieht das Böse an.«
»Jetzt bin ich also auch noch >gut<«, murrte sie. »Langweilig, gut und praktisch veranlagt.«
»Was ist so schlimm daran, wenn jemand gut ist? Im Himmel mag man gute Menschen, und ich kann Ihnen sagen, dass es nicht eben viele von Ihrer Sorte gibt.«
Sie schwieg, weil ihr darauf keine Antwort einfiel. Ihre Mutter hatte ihr immer eingeschärft, gut und brav zu sein, aber eine Frau
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