Ein Engel fuer Emily
Angelegenheiten einzumischen.«
»Und wie stellst du das an?«
»Ich warne meine Lieblinge vor Gefahren und dergleichen.«
»Zum Beispiel kitzelst du jemanden an der Nase, wenn Unheil droht, stimmt’s?«
»Genau. Ich nehme an, das wäre ganz in Ordnung, wenn ich es bei allen meinen Schützlingen machen würde. Aber das gelingt mir anscheinend nicht. Ich habe da zum Beispiel diesen Geist, der wirklich böse ist. Egoistisch und selbstsüchtig; eben böse. Er ermordet und verprügelt Menschen und quält Kinder.«
»Aber du solltest ihn lieben.«
»Ja, genau. Adrian behandelt seine Schützlinge alle gleich. Aber ich ...» Er sah sie niedergeschlagen an.
»Was hast du mit diesem bösen Geist gemacht?«
Michael zog eine Grimasse. »Ich habe dafür gesorgt, dass er festgenommen wird. In jeder seiner Lebensspannen flüstere ich jemandem ins Ohr, wo er sich aufhält, dann verhaften sie ihn und sperren ihn ein. Wenn er entkommt, stelle ich sicher, dass er wieder eingefangen wird. In einem Leben habe ich ihn zwanzig Jahre im Gefängnis schmoren lassen, weil er einen Löffel gestohlen hatte, denn ich wusste, was er tun würde, wenn er wieder freikommt. Als er entlassen wurde, verleitete ich ihn dazu, eine Melone zu klauen, und er wurde wieder eingesperrt.«
»Ja, du bist ein schrecklicher Engel«, sagte sie und konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.
»Das ist nicht lustig. Gott hat euch Sterblichen einen freien Willen gegeben, und ich sollte diesen Willen nicht beeinflussen. Adrian würde mir klarmachen, dass sich der Mann hätte ändern können. Aber als ich ihn ins Gefängnis steckte, verwehrte ich ihm die Chance, es zu tun. Aber, Emily, wenn man jemanden beobachtet, der über dreihundert Jahre lang nur Böses tut und schlecht ist, denkt man: Der wird sich nicht ändern - niemals!«
Emily hatte keine Lösung für sein Problem parat. Sie hätte ihm nur beipflichten können. Aber sie wusste schließlich auch nicht, was es hieß, ein Engel zu sein. Natürlich war Michael kein Engel, fügte sie im Stillen hinzu.
»Senf oder Mayonnaise?«, fragte sie.
»Was ist das?« Sie erklärte es ihm und lenkte ihn so von seinen trüben Gedanken ab.
Kapitel 9
Am nächsten Morgen, als Emily zur Bibliothek ging, dachte sie daran, dass sie Michael hätte wegschicken müssen. Sie hatte es nicht getan. Irgendwie gelang es ihm immer wieder, sie von ihren besten Absichten abzubringen.
Am gestrigen Abend hatte er sie gebeten, ihm zu zeigen, was die amerikanischen Männer mit den Spießen und dem Fleisch machten. Im ersten Moment stellte sie sich Schwerter vor und Lämmer, die in alten Zeiten zum Opferaltar geführt wurden, und war fast enttäuscht, als sie begriff, dass er von Steaks und einem Grill sprach. Zwischen ihrer und Donalds Wohnung befand sich eine kleine Holzterrasse, dort stand ein Grill. Emily holte die Holzkohle und Spiritus, erklärte ihm, was er machen musste und lief selbst zum Metzger, um Steaks zu kaufen. Sie rechnete damit, dass das Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt sein würde, wenn sie zurückkam, aber sie erlebte eine angenehme Überraschung. Die Kohlen glühten, wie es sein musste, und Michael war so zufrieden mit sich selbst, dass er beinahe einen Meter über dem Boden geschwebt hätte. »Soll ich? Ich kann das, weißt du«, sagte er, und sie musste lachen.
Nach dem Abendessen wollte er tanzen lernen, und zwar so, »wie er es sie früher hatte tun sehen«. Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass er einen Walzer meinte, den sie im edwardianischen Zeitalter getanzt haben mochte. Sie glaubte zwar keineswegs an Reinkarnation, aber die Bewegung beim Walzer fiel ihr nicht schwer. Während sie und Michael durch den Raum wirbelten, erzählte er ihr von einem Ball, zu dem sie in einem silbernen Kleid und Diamanten in den Haaren gegangen war.
»Du warst die schönste Frau auf diesem Ball«, sagte er, »und kein Mann konnte die Augen von dir wenden.«
»Sogar mein Ehemann?«, witzelte sie, doch Michael wandte sich ab, ohne ihr zu antworten. Und sie stellte keine weiteren Fragen mehr - der Himmel wusste, was ihr in einer Zeit vor der modernen Medizin widerfahren war.
Ob sie nun wahr waren oder nicht, die Geschichten, die er spann, brachten sie dazu, sich ihr Leben in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort vorzustellen. Sie sah die Kerzen, roch das Parfüm, hörte das leise Lachen der anderen Tänzer. Sie spürte fast, wie das Korsett ihre Taille einschnürte und der lange, mit Tausenden von
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