Ein Engel im Winter
wird vom Gesetz hart bestraft«, bemerkte sie.
»Natürlich, aber um zu verhindern, dass Leroy zum Wiederholungstäter wird, brauchen wir einen Beweis für seine Erpressung. Dieser Typ ist sehr vorsichtig, wie ich bislang feststellen konnte.«
»Was! Sie haben mit ihm gesprochen?«, rief sie aus, völlig entsetzt, dass er ihr davon nicht längst berichtet hatte.
»Ja, ich habe ihn heute Morgen angerufen, aber er hat darauf bestanden, mich fünf Minuten später in einer der öffentlichen Telefonzellen unten im Haus zurückzurufen.«
»Hat er Ihnen ein Treffen vorgeschlagen?«
»Ich treffe ihn morgen.«
»Und wie wollen Sie vorgehen?«
»Ich muss ein Mittel finden, ihn zum Sprechen zu bringen, und ich muss das, was er sagt, aufzeichnen, aber dafür bräuchte ich eine ganze Ausrüstung: ein verstecktes Mikrofon vom Geheimdienst zum Beispiel.«
»Ich darf Sie daran erinnern, dass die Watergate-Zeiten weit hinter uns liegen«, spöttelte Abby.
»Weil Sie ein besseres Mittel kennen?«
»Das zum Beispiel«, sagte sie und deutete auf das Handy ihres Chefs.
»Das Handy?«
»Ja, nur ein wenig anders verwendet als sonst.«
Er runzelte die Stirn. Angesichts seiner zweifelnden Miene erklärte sie:
»Ihr Handy besitzt eine Funktion für freisprechen, nicht wahr?«
»Natürlich, um zu telefonieren, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen.«
»Okay. Und was passiert, wenn Ihr Handy klingelt, während Sie Auto fahren?«
»Es schaltet nach dreimaligem Läuten automatisch ab«, erklärte Nathan, »aber ich weiß nicht, wozu …«
»Lassen Sie mich ausreden. Stellen Sie sich jetzt mal vor, Sie stellen den Ton aus.«
»Und ich lass es vibrieren?«
»Nein«, sagte sie kopfschüttelnd, »wenn ein Handy vibriert, verursacht es ein leises Geräusch. Das ist nicht diskret genug.«
»Ich weiß nicht, wie man es sonst machen soll«, sagte er und kratzte sich am Kopf.
»Ich zeige es Ihnen.«
Sie nahm sein Handy und drückte auf ein paar Knöpfe.
»Man muss nur ein Klingeln ohne Ton programmieren.«
»Also stumm?«
»Ja, und damit wird Ihr Handy zum versteckten Mikro, 007«, sagte sie und warf ihm das Handy zu, das er im Flug auffing.
Um den Vorgang zu überprüfen, griff er nach dem Hörer seines Festnetzanschlusses vom Büro und rief sein Handy an. Wie zu erwarten, nahm es ohne jeden Ton den Anruf an.
»Das ist unglaublich«, musste er zugeben. »Woher wissen Sie das?«
»Aus einer Frauenzeitschrift«, verkündete Abby. »War ein interessanter Artikel: Zehn unfehlbare Tricks, Ihren Partner zu überwachen und zu erfahren, ob er Sie betrügt.«
Kapitel 27
Ich bin kein Mann ohne Fehler.
Villon
Krankenhaus in Pitsfield
Intensivstation
Ein Uhr morgens
»Bitte, Doktor Goodrich, hier ist er.«
»Sehr gut.«
Claire Giuliani trat einen Schritt zurück. Sie war beeindruckt von diesem berühmten Mediziner, der extra aus New York gekommen war, um nach ihrem Patienten zu sehen.
»Gut, ich lasse Sie jetzt allein. Rufen Sie mich, wenn Sie etwas brauchen.«
»Danke, Frau Doktor Giuliani.«
Garrett stieß die Tür auf und betrat das Zimmer. Es war ein ziemlich unpersönlicher Raum, der nur von einem kleinen, schwachen Nachtlicht über dem Bett beleuchtet wurde. Im Hintergrund stand ein schlichter, weiß polierter Tisch neben einem Metallwaschbecken aus Edelstahl. Das ganze Zimmer hallte wider vom typischen Überwachungspiepton für den Herzrhythmus und vom Keuchen des riesigen Beatmungsapparates, der stoßweise den Sauerstoff in die Intubationsleitung presste.
Garrett näherte sich dem Bett und beugte sich über Ben. Die Krankenschwestern hatten die Bettdecke hochgezogen und ihn mit einer zusätzlichen Decke zugedeckt, um eine Unterkühlung zu verhindern. Unbeweglich wie eine Porzellanskulptur schien das Kind in dem großen Bett völlig zu verschwinden. Die zahlreichen blauen Flecke im Gesicht verstärkten noch den Eindruck der Zerbrechlichkeit. Mehrere Schläuche liefen an seinen Armen entlang zu den Infusionsflaschen, die an der Stange über dem Bett hingen.
Mechanisch blickte Garrett auf den Monitor, um die Werte für die Herzfrequenz und den Blutdruck abzulesen. Er prüfte die automatische Druckpumpe, die dafür sorgte, dass der Junge in regelmäßigen Abständen eine bestimmte Dosis Morphium bekam. Er kannte Intensivstationen zur Genüge, doch jedes Mal, wenn er sie betrat, spürte er eine gewisse Empathie, die sich mit einem seltsamen Gefühl vermischte. Er hatte sich eine Weile mit dieser jungen Ärztin
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