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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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musste dabei gegen den Strom der Reisenden kämpfen, die von allen Seiten drängelten. Er kontrollierte, ob sein Handy auf »verbunden« eingestellt war, denn er wusste, dass Abby am anderen Ende der Leitung bereit war, alles aufzunehmen, um Leroy zu überführen.
    Nathan wurde unruhig. Er wusste nicht einmal, wie der Mann aussah, mit dem er verabredet war. »Keine Angst, ich werde Sie erkennen«, hatte der Erpresser ihm lakonisch erklärt. Nathan geduldete sich also noch zwei oder drei Minuten, bis plötzlich eine Hand brutal auf seiner Schulter landete. »Schön, Sie endlich zu treffen, Mister Del Amico.« Der Mann stand schon eine Weile da, aber Nathan hatte keinen Augenblick vermutet, dass es sich bei ihm um Creed Leroy handeln würde. Das Individuum, das ihm gegenüberstand, besaß keine Ähnlichkeit mit einem Tankstellenbesitzer. Er trug einen dunklen, gut geschnittenen Anzug, einen hochwertigen Mantel, neue oder perfekt gepflegte Schuhe. Wenn er auch noch eine Krawatte getragen hätte, wäre Leroy nicht einmal in einer Anwaltskanzlei aufgefallen. Abgesehen davon war nichts an dem Mann ungewöhnlich. Alles an ihm war mittelmäßig: die Größe, der Körperbau, die Gesichtszüge … Alles war mittelmäßig, außer seinen smaragdgrünen Augen, in deren Tiefe eine intensive Flamme leuchtete.
    Dieses Individuum war wohl nicht gerade von der gesprächigen Sorte. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er dem Anwalt, ihm zu folgen.
    Die beiden Männer gingen an den vielen kleinen Läden vorbei, die die Aufgänge zu den Bahnsteigen säumten. Sie gelangten in die untere Etage mit all ihren Cafés, Sandwichbuden und Restaurants. Um Lärm und Luftverschmutzung zu reduzieren, waren die Schienen des Grand Central in die Erde verlegt worden, was dem Besucher den merkwürdigen Eindruck vermittelte, durch einen Bahnhof ohne Gleise zu gehen. Creed Leroys Hinweis folgend stieß Nathan die Tür zur Oyster Bar auf.
    Das Restaurant war bekannt dafür, die besten Meeresfrüchte der Stadt zu servieren. Normalerweise liebte Nathan diesen charmanten Ort mit seinem beeindruckenden Gewölbesaal.
    »Wir gehen zuerst zu den Toiletten«, flüsterte Leroy nervös.
    »Wie bitte?«
    »Keine Diskussion.«
    Nathan folgte ihm also zu den Toiletten. Creed wartete, bis der Vorraum leer war, dann befahl er: »Geben Sie mir Ihren Mantel.«
    »Wie bitte?«
    »Geben Sie mir Ihren Mantel und Ihr Jackett. Ich will sicher sein, dass Sie kein Aufnahmegerät bei sich tragen.«
    »Ich trage gar nichts bei mir!«, wehrte sich Nathan, weil er merkte, dass sein gut ausgefeilter Plan ins Wasser fallen würde.
    »Beeilen Sie sich«, befahl Creed.
    Nathan zog seinen Mantel und sein Jackett aus. Er nahm das Handy aus der Jacketttasche und steckte es in die Hemdtasche. Er konnte es zumindest versuchen.
    »Legen Sie Ihre Uhr ab.«
    Nathan gehorchte.
    »Öffnen Sie Ihr Hemd.«
    »Sie sind komplett durchgedreht.«
    »Ich sage es nicht noch einmal.«
    Der Anwalt knöpfte seufzend sein Hemd auf. Leroy untersuchte seinen Oberkörper.
    »Wollen Sie noch mehr sehen?«, fragte Nathan provozierend. »Nutzen Sie die Gelegenheit, ich trage eine Calvin-Klein-Unterhose.«
    »Ihr Handy, bitte.«
    »Das ist doch lächerlich!«
    Leroy nahm ihm das Handy einfach weg.
    Ach Scheiße!
    »Ihren Ehering.«
    »Wagen Sie es nicht, ihn auch nur anzufassen!«
    Creed zögerte einen Augenblick, dann legte er seine Hand auf die Faust des Anwalts.
    »Los, runter damit!«
    Blitzartig packte Nathan ihn an der Kehle und presste ihn gegen die Tür.
    »Hrrrgl…«, versuchte Creed Leroy sich zu wehren. Nathan drückte noch fester zu.
    »Wagen Sie es ja nicht, ihn anzufassen! Verstanden!«
    »Hrrrgl. ver… standen.«
    Der Anwalt ließ seine Beute wieder los.
    Leroy krümmte sich und räusperte sich mehrere Male, um wieder atmen zu können.
    »Verdammt, Del Amico . das werden Sie mir büßen.«
    »Gut, beeilen Sie sich, Leroy«, befahl Nathan und verließ die Toiletten. »Ich nehme an, Sie haben mich nicht herbestellt, um eine Venusmuschelsuppe mit mir zu essen …«
    Sie saßen jetzt an einem kleinen Tisch, zwei Martinis vor sich. In dem überfüllten Saal herrschte ein betäubendes Stimmengewirr. Leroy hatte Nathans Mantel, Jackett und Handy an der Garderobe abgegeben und eine gewisse Haltung wiedergefunden. Er holte ein Tarot-Kartenspiel aus der Tasche und hielt es dem Anwalt hin.
    »Die ersten neun Karten bilden die Nummer eines Bankkontos auf den Bahamas«, erklärte er. »Sie werden Ihre Bank anrufen

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