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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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'n'   Roll-Musik auf dem Eis dahin.
    Er rieb sich die Hände, um sich aufzuwärmen. Heute glich Manhattan einer riesigen Skistation. Aus der Ferne funkelte die Eisfläche wie Silber. Auf einer Böschung, die sich um die Eisfläche zog, war ein Graffiti in den Schnee gesprüht worden und verkündete: I like NY. Nathan liebte diese winterliche Atmosphäre, wenn die ganze Stadt wirkte wie verpackt in einem Schmuckkästchen aus Kristall. Er ging die Absperrung entlang und genoss die letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags. Es war schon verrückt, dass sogar jeder Sonnenstrahl auf seinem Gesicht eine besondere Bedeutung für ihn gewonnen hatte!
    Dieser Gedanke löste sofort eine ganze Flut von Gefühlen in ihm aus. Bald würde er das alles nicht mehr erleben. Nie mehr würde ihm der köstliche Kaffeeduft in die Nase steigen oder die Sonne seine Haut wärmen. Seine Augen füllten sich mit Tränen, aber er rang um Selbstbeherrschung. Dies war nicht der richtige Augenblick, sich gehen zu lassen. Immerhin blieb ihm die Zeit, sich von seiner Tochter und seiner Frau zu verabschieden. Nicht alle Sterbenden hatten dieses Glück.
    Bald würden die goldenen Sonnenstrahlen hinter den Wolkenkratzern verschwinden. Dann würde es plötzlich dunkel werden. In der Winterlandschaft würden die Straßenlaternen wie Kerzen angezündet werden und den Park in eine Märchenlandschaft verwandeln.
    Noch war es Tag, auch wenn hinter den Gebäuden bereits ein fahler Mond aufgegangen war. Plötzlich sah er sie kommen, in der Ferne, im Licht. Mallory.
    Ihre Silhouette zeichnete sich in dem orangefarbenen Licht deutlich ab. Der Wind zerzauste ihr Haar, die Kälte rötete ihre Wangen.
    Als sie ihn entdeckte, begann sie in seine Richtung zu rennen. Völlig außer Atem warf sie sich in seine Arme. Es war, als wären sie wieder zwanzig. Doch als sie sich umwandten, sahen sie ein kleines Mädchen, das seine Schlittschuhe ausgezogen hatte und freudestrahlend auf sie zulief.
    Bonnie warf sich in ihre Arme, und sie hielten sich alle drei fest umschlungen. Plötzlich fragte das kleine Mädchen:
    »Spielen wir die Blume?«
    Das war ein Spiel, das sie einst erfunden hatten, als Bonnie noch ganz klein war.
    Zuerst ging man ganz nah aufeinander zu, umarmte sich und sagte: »Die geschlossene Blume«, dann löste man sich voneinander und rief: »Die geöffnete Blume«.
    Das wiederholte man drei- oder viermal: die geschlossene Blume, die geöffnete Blume, die geschlossene Blume, die geöffnete Blume …
    Es war ein ganz einfaches Spiel, ein Zeichen der Verbundenheit, um diese Familie zusammenzuschmieden, in der künftig immer eine Person fehlen würde.

Kapitel 29
    Immer leiden wir an der Liebe,
    auch wenn wir glauben, an nichts zu leiden.
    Christian Bobin

    Einige Stunden später
    Nacht des 24. Dezember
    Apartment im San Remo Building
    Sie lagen ausgestreckt auf dem Bett und betrachteten die Sterne.
    Der Himmel war so klar, dass der Mond ihr Zimmer in ein bläuliches Licht tauchte. Mallorys Lippen berührten Nathans Hals. Wieder überwältigte sie das Verlangen, und ihr Atem ging schneller. Sie fuhr ihrem Mann mit den Fingern durchs Haar.
    »Du weißt doch, dass ich älter bin als du«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    »Nur ein paar Tage«, erwiderte er und lächelte.
    »Ich glaube, du bist extra für mich geschaffen worden«, scherzte sie.
    Er legte die Hand auf ihre Brust.
    »Was willst du damit sagen?«
    Sie setzte ihr Spiel fort:
    »Ich glaube, als ich geboren wurde, hat sich eine gütige Fee über meine Wiege gebeugt und beschlossen, mir einen Gefährten zu geben, mit dem ich die Schwierigkeiten dieser Welt gemeinsam meistern würde.«
    »Also habe ich mein Leben einem Wohlwollen von höchster Stelle zu verdanken?«, fragte er amüsiert.
    »Genau. Du kannst dich dafür herzlich bei mir bedanken«, murmelte sie und küsste ihn. »Ohne mich hättest du nie das Licht der Welt erblickt.«
    Er erwiderte ihre Küsse voller Hingabe. Er wollte ihren Duft in sich einsaugen. Er nahm alles in sich auf, die kleinste Bewegung ihrer Leberflecke, den leisesten Seufzer. Man konnte den Jackpot in der Lotterie knacken, den Jahrhundertprozess gewinnen, ein sieben- oder achtstelliges Vermögen besitzen – nichts konnte diese Augenblicke aufwiegen. Er nahm sie noch fester in die Arme, küsste sie auf den Nacken, streichelte ihre Hüften und presste sich so eng an sie, als sei sie seine letzte Verbindung zur Welt.
    Alles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, ließ er in

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