Ein Engel im Winter
geschwiegen als geredet wurde.
Die Kraftprobe dauerte bis zu jenem berühmten Weihnachten 1986, als sich ein Teil der Bostoner Aristokratie auf dem prächtigen Familiensitz zum Festessen an Heiligabend versammelt hatte. Mallory erschien mit Nathan an ihrer Seite und stellte ihn überall als ihren »künftigen Ehemann« vor. Jeffrey und Lisa Wexler hatten damals begriffen, dass sie sich schließlich dem Entschluss ihrer Tochter beugen mussten. Es war so und nicht anders, und wenn sie Mallory behalten wollten, mussten sie wohl oder übel Del Amico akzeptieren.
Nathan war ehrlich verblüfft über Mallorys Entschlossenheit, ihre Entscheidung durchzusetzen, und er liebte sie dafür umso mehr. Noch heute läuft es ihm kalt den Rücken hinunter, wenn er an jenen denkwürdigen Abend denkt. Für ihn würde es auf immer der Abend bleiben, an dem Mallory Ja gesagt hatte, Ja vor den anderen, Ja vor der ganzen Welt.
Aber selbst nach der Hochzeit hatten die Wexlers ihn nicht wirklich als einen der Ihren akzeptiert. Nicht nachdem er sein Examen an der Columbia University abgelegt hatte, ja nicht einmal, nachdem er eine Anstellung in einer hoch angesehenen Anwaltskanzlei gefunden hatte. Es war weniger eine Frage des Geldes als vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Herkunft. Es schien so, als bekäme man in diesen Kreisen bereits mit der Geburt an eine gewisse Stellung zugesprochen, die man lebenslang behielt, unabhängig davon, was man tat oder wie viel Geld man verdiente.
Für sie würde er immer der Sohn der Haushälterin bleiben, jemand, den sie zwangsläufig akzeptieren mussten, um ihre Tochter nicht zu verlieren, der aber im Grunde nicht zum Kreis der Familie gehörte. Und der nie dazugehören würde.
Und dann fand dieser Prozess statt. Damals, 1995. Genau genommen fiel die Angelegenheit nicht unbedingt in seinen Kompetenzbereich. Aber nachdem er den Eingang der Akte bei Marble & March registriert hatte, bestand Nathan darauf, sich mit diesem Fall zu beschäftigen.
Der Fall war leicht zu verstehen: Nachdem das Unternehmen Soft-Online von einer großen Informatikgesellschaft aufgekauft worden war, meinte einer der Gründer der Firma, dass er von den neuen Aktionären zu Unrecht entlassen worden sei, und verlangte eine Entschädigung in Höhe von 20 Millionen Dollar. Die Weigerung des Unternehmens, eine solche Summe zu zahlen, hatte die Androhung eines Prozesses nach sich gezogen. In dieser Phase hatte sich der Mandant an Marble & March gewandt.
Inzwischen hatten die Aktionäre, deren Gesellschaft sich in Boston befand, ihre Anwälte konsultiert: die Kanzlei Branagh & Mitchell, und deren Hauptgesellschafter war – Jeffrey Wexler.
Mallory bat ihren Mann inständig, diesen Fall nicht zu übernehmen. Es würde ihnen nichts Gutes bringen. Es würde die Dinge nur komplizieren, zumal Wexler persönlich den Fall für seine Kanzlei übernommen hatte.
Aber Nathan hatte nicht auf sie gehört. Er wollte Wexler zeigen, wozu der kleine Gassenjunge fähig war. Er hatte Jeffrey Bescheid gesagt, er würde den Fall nicht nur behalten, sondern er würde auch den Prozess gewinnen.
Wexler hatte ihm die Pest an den Hals gewünscht. Derartige Fälle kommen selten bis vors Gericht. Im Allgemeinen wird ein Deal zwischen den Parteien ausgehandelt, und der Job der Anwälte besteht darin, ein optimales Arrangement zu treffen. Auf Wexlers Anraten hatte die Firma sechseinhalb Millionen angeboten. Das war ein anständiger Vorschlag. Die meisten Anwälte hätten ihn angenommen. Doch wider alle Regeln der Vernunft hatte Nathan seinen Mandanten überredet, nicht nachzugeben.
Wenige Tage vor dem Prozess hatten Branagh & Mitchell ein letztes Angebot in Höhe von acht Millionen Dollar unterbreitet. Dieses Mal hatte Nathan erwogen anzunehmen. Aber dann sagte Wexler jenen Satz, den er nie vergessen würde:
»Del Amico, Sie haben bereits meine Tochter bekommen. Reicht Ihnen das nicht als Trophäe?« »Ich habe Ihre Tochter nicht ›bekommen‹, wie Sie sich ausdrücken. Ich habe Mallory immer geliebt, aber das wollen Sie ja nicht begreifen.«
»Ich werde Sie wie einen Wurm zertreten!«
»Ich weiß, dass Sie mich verachten, doch das wird Ihnen in diesem Prozess nicht viel nützen.«
»Denken Sie gut darüber nach. Wenn Sie schuld daran sind, dass dieser Typ acht Millionen verliert, wird Ihr Ruf Schaden nehmen. Und Sie wissen, wie leicht der Ruf eines Anwalts Schaden nimmt.«
»Kümmern Sie sich um Ihren Ruf, mein Guter.«
»Ihre Chancen stehen
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