Ein Engel im Winter
eins zu zehn, diesen Prozess zu gewinnen. Und das wissen Sie.«
»Was würden Sie wetten?«
»Ich will gehängt werden, wenn ich mich irre.«
»So viel verlange ich gar nicht von Ihnen.«
»Was dann?«
Nathan überlegte kurz.
»Das Apartment im San Remo.«
»Sie sind verrückt.«
»Ich dachte, Sie seien ein Spieler, Jeffrey.«
»So oder so, Sie haben überhaupt keine Chance.«
»Eben sagten Sie noch eins zu zehn .«
Wexler war so selbstsicher, dass er sich am Ende auf das Spiel einließ:
»Na gut, einverstanden. Wenn Sie gewinnen, überlasse ich Ihnen das Apartment. Wir erklären es zum Geschenk anlässlich von Bonnies Geburt. Und merken Sie sich bitte, wenn Sie verlieren, verlange ich nichts: Sie werden genug damit zu tun haben, sich von der Niederlage zu erholen, und ich will nicht, dass der Mann meiner Tochter in der Gosse landet.«
So weit war ihre Auseinandersetzung gediehen. Eine derartige Wette war nicht besonders professionell – Nathan wusste sehr wohl, dass es ihm nicht zur Ehre gereichte, wenn er die Nöte eines Mandanten ausnutzte, um eine persönliche Rechnung zu begleichen –, aber die Gelegenheit war einfach zu verlockend.
Es war ein relativ einfacher Fall, doch sein Ausgang war ungewiss, weil er vom Einfühlungsvermögen und vom Urteil des Richters abhing. Nathans Mandant lief Gefahr, alles zu verlieren, nachdem er das von Wexler vorgeschlagene Angebot abgelehnt hatte.
Jeffrey war ein erfahrener und unerbittlicher Anwalt. Objektiv gesehen hatte er durchaus Recht, als er behauptete, die Erfolgsaussichten seines Gegners wären minimal.
Aber schließlich hatte Nathan gewonnen.
Richter Frederick J. Livingston aus New York entschied, dass Soft-Online im Unrecht war und dem ehemaligen Mitarbeiter 20 Millionen zahlen musste.
Eines musste man Wexler lassen: Er hatte seine Niederlage ohne Murren hingenommen und einen Monat später das Apartment im San Remo komplett geräumt.
Mallory hatte sich dennoch nicht getäuscht: Dieser Prozess verbesserte die Beziehungen ihres Mannes zu seinen Schwiegereltern nicht. Der Bruch zwischen Jeffrey und Nathan war so tief, dass sie seit nunmehr sieben Jahren nicht mehr miteinander sprachen. Nathan vermutete natürlich, dass sich die Wexlers insgeheim über die Scheidung ihrer Tochter freuten. Es konnte gar nicht anders sein.
Nathan senkte den Kopf und dachte an seine Mutter.
Sie hatte ihn nie in diesem Apartment besucht.
Sie war drei Jahre vor dem berühmten Prozess an Krebs gestorben.
Fest stand jedoch: Ihr Sohn schlief jetzt im 23. Stock der 145 Central Park West.
Dort, wo sie fast zehn Jahre lang als Haushälterin gearbeitet hatte.
Eleanor hatte kein leichtes Leben gehabt.
Sie war neun, als ihre Eltern, die aus Gaeta, einem Fischereihafen im Norden von Neapel, stammten, in die Vereinigten Staaten auswanderten. Diese Entwurzelung hatte sich sehr unangenehm auf ihre Schulzeit ausgewirkt, denn es war ihr nie gelungen, passabel Englisch zu lernen, sodass sie die Schule vorzeitig verlassen musste.
Mit zwanzig hatte sie Vittorio Del Amico getroffen, der auf der Baustelle des Lincoln Center arbeitete. Er war ein Mann der schönen Worte, und sein Lächeln war unwiderstehlich. Ein paar Monate später war sie schwanger, und sie beschlossen zu heiraten. Aber mit der Zeit stellte sich heraus, dass Vittorio ein brutaler Mann war, untreu und verantwortungslos. Er ließ seine Familie im Stich und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Danach musste Eleanor ihren Jungen allein großziehen. Sie nahm oft zwei oder drei Jobs gleichzeitig an, um über die Runden zu kommen. Sie arbeitete als Putzfrau, Kellnerin und Empfangsdame in zweitklassigen Hotels: Für keine Arbeit war sie sich zu schade, und sie ertrug klaglos die Demütigungen, die mit diesen niederen Tätigkeiten verbunden waren. Sie hatte keine richtigen Freunde, keine nahen Verwandten, niemanden, der sie unterstützte.
Bei ihnen zu Hause gab es weder Waschmaschine noch Videorecorder, aber sie konnten sich immer satt essen. Sie lebten kümmerlich, aber anständig. Nathan war stets sauber gekleidet und besaß alle erforderlichen Hefte und Schulbücher.
Obwohl seine Mutter immer bis zur Erschöpfung arbeitete, hatte er nie erlebt, dass sie sich Zeit für sich selbst genommen oder sich auch nur kleine Freuden gegönnt hätte. Sie machte nie Urlaub, nahm nie ein Buch in die Hand, ging weder ins Kino noch ins Restaurant.
Denn die einzige Aufgabe für Eleanor Del Amico bestand darin, ihren Sohn
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