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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Seite, weil er sich plötzlich seines Voyeurismus bewusst wurde.
    Er wollte den Motor anlassen, als sein Handy klingelte. Er dachte, es sei ein Anruf aus der Kanzlei, aber es war eine schlichte SMS:
    Schauen Sie in Ihre Mail. Garrett Goodrich.
    Was wollte der denn wieder von ihm? Nach kurzem Überlegen knipste Nathan die Innenbeleuchtung des Jeeps an, packte sein Notebook aus und schaltete es ein. Während es startete, aktivierte er die Infrarotschnittstelle seines Handys und verband es mit dem Notebook, um seine E-Mails zu lesen. Es waren drei.
    Die erste stammte von Abby: »Schöne Ferien. Ihnen und Ihrer Tochter fröhliche Weihnachten.« Wie üblich hatte sie ein Zitat an ihre Nachricht angehängt: »Ein Mann, der keine Zeit mit seiner Familie verbringt, wird nie ein richtiger Mann sein.« Nathan grinste. Es war ein Spiel, das darin bestand herauszufinden, aus welchem Film die Zitate stammten, mit denen sie sich regelmäßig bombardierten. Diesmal war es einfach. Er drückte auf das Icon »Antworten« und schrieb lediglich: »Vito Corleone in Der Pate.«
    Die zweite Mail enthielt ein Foto von Bonnie, wie sie ihr Zwergkaninchen Bugs an die Wange drückte.
    Nachdem Mallory ihr eine perfekte Webcam geschenkt hatte, schickte ihm seine Tochter regelmäßig Bilder von sich. Über ihrem Kopf hielt sie ein oval geschnittenes Blatt Papier, das wie eine Sprechblase aussah, in der stand:
    BUGS UND ICH ERWARTEN DICH NÄCHSTEN SAMSTAG .
    Lange betrachtete er das Foto und war wie immer berührt von dem schönen Gesicht seiner Tochter, von ihrer wilden Mähne, ihrem schalkhaften Blick – den sie von Mallory geerbt hatte – und ihren kleinen, leicht auseinander stehenden Zähnen, die ihr ein so reizendes Lächeln verliehen.
    Ohne zu wissen warum, fühlte er sich plötzlich sehr glücklich und sehr traurig zugleich.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis die letzte Mail mit einer kleinen MPEG-Sequenz als Anhang im Posteingang war. Er kannte diese Technologie: Mit Hilfe eines digitalen Camcorders war es heutzutage möglich, eine Videosequenz zu filmen, auf Diskette zu speichern und als E-Mail zu verschicken.
    Nathan prüfte den Absender. Es war Goodrichs Geschäftsadresse Staten Island Hospital. Nathan wartete, bis der Film vollständig geladen war, dann projizierte er ihn auf den Bildschirm. Das Bild war ziemlich deutlich, aber durch mehrere Schnitte unterbrochen.
    Nathan achtete auf das eingetragene Datum am unteren Rand des Bildschirms: Es lag kaum drei Monate zurück.
    Das erste Bild war aus einem Fahrzeugfenster heraus aufgenommen worden. Den Straßenschildern zufolge befand man sich in Texas, in Houston, um genau zu sein. Man sah, wie das Auto das historische Zentrum verließ und auf der Stadtautobahn bis zum ersten Außenring fuhr. Nathan war nur einmal in der texanischen Hauptstadt gewesen und hatte eine ziemlich unangenehme Erinnerung an die ausgedehnte Stadtfläche, auf der sich die Autos stauten und auf der eine drückende Hitze und starker Smog lasteten. Im Übrigen hatte er erfahren, dass einige Kanzleien Mühe hatten, Anwälte zu finden, weil die Stadt in Bezug auf Umwelt und Lebensqualität wohl in einer Sackgasse steckte und damit einen wenig verlockenden Eindruck machte.
    Inmitten eines komplizierten Verkehrssystems gelangte das Fahrzeug schließlich in eine Randzone, in der die Mietpreise sicher nicht hoch waren. Die Kamera schwenkte über Industrieanlagen und Lagerhäuser, und das Auto blieb schließlich auf dem Parkplatz einer ärmlichen Wohnanlage aus schmutzigen Ziegeln stehen.
    Hatte Goodrich diese Bilder gemacht? In jedem Fall hatte sich der Filmemacher bemüht, die Verkehrsschilder so deutlich zu filmen, dass man mühelos bis an diesen Ort gelangen konnte.
    Das folgende Bild zeigte das Innere einer winzigen Wohnung.
    Es war ein kleines gelbliches Ein-Zimmer-Apartment, leer, aber sauber, mit einem veralteten Fernseher auf einem Resopaltisch und einem kleinen Kühlschrank neben einer angeschlagenen Spüle. Im Hintergrund hörte man Stimmen und ermutigende Schreie, die vom Fenster her kamen: Bestimmt lärmten da draußen Jungen, die auf dem Asphalt Basketball spielten.
    Das Bild wackelte, aber man erkannte sehr deutlich eine mit Fotos geschmückte Wand über einem kleinen Schreibtisch.
    Der Camcorder näherte sich dem größten Foto, eine alte vergilbte Aufnahme.
    Sie zeigte ein kleines blondes Mädchen mit flatternden Haaren, aufrecht auf einer Schaukel stehend. Sie lachte vergnügt, während ein Mann in

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