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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Hemdsärmeln die Schaukel anschob.
    Er hatte sich eine Zigarette hinters Ohr geklemmt.

Kapitel 10
    Versuche nicht zu bewirken,
    dass die Ereignisse so eintreten,
    wie du willst,
    sondern wolle sie so, wie sie eintreten.
    Epiktet

    Nathan schaltete die Scheinwerfer ein, dann ließ er den Motor seines Jeeps an.
    Im Fahren griff er nach dem Handy und drückte auf die automatische Funktionstaste für die Auskunft. Er bat darum, mit dem Staten Island Hospital verbunden zu werden, denn er war fest entschlossen, mit Goodrich zu reden.
    »Der Doktor hat heute am Spätnachmittag die Klinik verlassen«, erklärte die Telefonistin. »Da er morgen freihat, vermute ich, dass er in sein Haus nach Connecticut gefahren ist.«
    »Könnte ich bitte seine Adresse bekommen?«
    »Tut mir Leid, Sir, wir sind nicht befugt, derartige Auskünfte zu erteilen«, erwiderte sie misstrauisch.
    »Ich bin ein Freund von ihm, und es ist sehr dringend.«
    »Wenn Sie ein Freund sind, hat er Ihnen bestimmt seine Adresse gegeben …«
    »Hören Sie zu«, unterbrach er sie barsch, »ich war gestern bei Ihnen im Krankenhaus und vor drei Tagen ebenfalls. Vielleicht erinnern Sie sich an mich? Ich bin Anwalt und …«
    »Tut mir Leid.«
    »Geben Sie mir endlich die verdammte Adresse«, brüllte Nathan in den Hörer.
    Seine Nerven lagen blank.
    Am anderen Ende des Hörers stieß die Telefonistin einen tiefen Seufzer aus. Sally Grahams Dienst dauerte noch eine knappe halbe Stunde. Das Krankenhaus zahlte ihr sieben Dollar die Stunde. Weder Ärzte noch Krankenschwestern schenkten ihr die geringste Beachtung. Sie hatte keine Lust, sich von diesem Verrückten zur Schnecke machen zu lassen. Wenn sie ihm diese verdammte Adresse gab, war sie ihn schnell wieder los. Also suchte sie in ihren Computerlisten und gab ihm schließlich die genaue Anschrift.
    »Hm … danke«, stammelte Nathan, »tut mir Leid, dass ich so unhöflich war.«
    Doch sie hatte bereits aufgelegt.
    Er riss das Lenkrad herum und machte kehrt in Richtung Verrazano Bridge. Er wollte nach Brooklyn, hatte aber keine Lust, die Fähre zu nehmen. In der Ferne spiegelten sich die Lichter des Financial District in den dunklen Wassern der Hudson Bay.
    Der Geländewagen brauste mit 285 PS dahin. Nathan verließ Manhattan über die Route 95 und schlug dann die Richtung Connecticut ein. Die Bilder des Films, den er gerade gesehen hatte, gingen ihm nicht aus dem Sinn. Er fuhr schnell, viel zu schnell. Ein Blick auf den Tacho bestätigte ihm, dass er die Höchstgeschwindigkeit weit überschritten hatte, und er zwang sich, langsamer zu fahren.
    Er liebte Neuengland mit seinen zeitlosen Dörfern, die ihn an Illustrationen von Norman Rockwell erinnerten. Für ihn war das hier das authentische Amerika, das der Pioniere und der Traditionen, das Amerika von Mark Twain und Stephen King.
    Er brauchte mehr als eine Stunde bis Mystic, einem ehemaligen Walfangzentrum, wo man die detailgetreue Nachbildung eines Hafens aus dem 19.   Jahrhundert besichtigen konnte.
    Er war letzten Sommer – oder vorletzten? – auf einer Fahrt nach Philadelphia hier durchgekommen. Er erinnerte sich sehr gut an die vornehmen Wohnsitze ehemaliger Kapitäne von Walfangschiffen. In der Hochsaison wimmelte es hier nur so von Touristen, aber im Winter war es natürlich ruhig. Heute Abend war alles so still und ausgestorben, als hätte der kalte, salzige Wind vom Ozean Mystic zu einer Geisterstadt eingefroren.
    Auf der Route Nummer 1 fuhr er einige Meilen weiter nach Osten. Kurz vor Stonington hielt er vor einem abgelegenen Haus an der Küste. Wenn die Auskünfte der Telefonistin stimmten, müsste er Goodrich hier finden.
    Er stieg aus dem Auto und überquerte den Sandstreifen, der die Straße vom Haus trennte. Mehrere Male musste er die Hand vor die Augen halten, um sie vor den Sandkörnern zu schützen, die der Wind aufwirbelte. Der Ozean war greifbar nah, und die Brandung, vermischt mit den schrillen Schreien der Möwen, verursachte ein überraschendes, fast unwirkliches Geräusch.
    Das Haus wirkte irgendwie geheimnisvoll. Mit seinen drei Stockwerken war es sehr hoch, aber eher schmal – wie zusammengefaltet. Jedes Stockwerk hatte einen breiten, aber nicht sehr tiefen Balkon. Das verlieh dem ganzen Bauwerk eine merkwürdig ausgebeulte Form.
    An der Tür gab es keine Klingel. Er klopfte mehrere Male kräftig an die Tür, um das Pfeifen des Windes zu übertönen.
    Beruhig dich, Nathan. Das hier ist nicht das Motel Bates . [Wohnsitz des

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