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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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dahinglitt.
    Nathan erinnerte sich nicht wirklich an diese Platte. Natürlich kannte er das Lied – diese Hymne an den Frieden auf der ganzen Welt, die er ein bisschen kitschig fand –, aber schließlich gehörten die pazifistischen Utopien des Sängers auch eher zu der Generation vor ihm. Nathan drehte die Plattenhülle um. Das Album war im September 1971 erschienen. Er entzifferte eine mit Füller geschriebene Widmung:
    Für Nathan.
    Du warst sehr mutig, Champion.
    Fürchte dich vor nichts und pass gut auf dich auf.
    »Champion?« Er erinnerte sich nicht, dass ihn jemand so genannt hatte.
    Die Unterschrift unter der Widmung war unleserlich.
    Er nahm die Platte aus der Hülle und legte sie auf. Instinktiv setzte er die Nadel auf die dritte Rille. Der Titel hieß Jealous Guy.
    Die ersten Klavierakkorde erklangen, und plötzlich fiel es ihm wieder ein.
    Es war 1972.
    Es war Herbst.
    Es war in einem Zimmer der Ambulanz auf Nantucket Island.

Kapitel 15
    In Wahrheit wissen wir nichts, denn die Wahrheit liegt in der Tiefe des Abgrunds.
    Demokrit

    Nathan sprang in den Jaguar und fuhr Richtung Mystic. Er raste so schnell, dass er an der Ausfahrt New Haven fast einen Unfall baute. Er konnte sich nicht aufs Fahren konzentrieren, wofür der Alkoholgehalt seines Blutes jedoch nicht verantwortlich war. Bilder aus der Vergangenheit tauchten vor seinem inneren Auge auf.
    1972
    Er war acht Jahre alt.
    Es war die Zeit des Watergate-Skandals, der medienwirksamen Reise Nixons nach China und der ersten Schachweltmeisterschaft, bei der ein Amerikaner einen Russen besiegte …
    Im Baseball hatten die Oakland A’s im Endspiel um die Meisterschaft die Cincinnati Reds geschlagen, während sich die Dallas Cowboys die Superbowl unter den Nagel gerissen hatten.
    In jenem Sommer hatte Nathan seine Mutter begleitet, die im Hause der Wexlers in Nantucket arbeitete. Es war seine erste richtige Reise, das erste Mal, dass er etwas anderes sah als seine Umgebung in Queens.
    Am späten Nachmittag gelangte er zu Goodrichs Haus.
    Das Wetter hatte sich weiter verschlechtert. Ein eisiger Wind fegte am Ufer entlang, wo der sturmverhangene Himmel fast mit dem aufgewühlten Meer verschmolz, das halb verborgen hinter den Dünen lag.
    Er läutete mehrere Male, aber niemand öffnete. Seltsam. Es war Sonntag, und wenn er Goodrich richtig verstanden hatte, kam der Arzt jedes Wochenende hierher.
    Wenn Goodrich nicht da war, musste er die Gelegenheit nutzen. Bislang war der Arzt die graue Eminenz gewesen, und ganz offensichtlich hatte er vieles vor ihm verborgen. Nathan wollte es selbst herausfinden, wenn er ihn entlarven wollte. Er sah sich um. Der erste Nachbar wohnte mehr als hundert Meter entfernt. Er musste unbedingt ins Innere des Hauses gelangen, und sei es durch Einbruch. Das Einfachste war vielleicht, auf das Dach der Garage zu klettern, die an das Haus grenzte, und von dort aus zu versuchen, auf einen der beiden Balkone zu gelangen.
    Das dürfte nicht sehr schwierig sein.
    Er versuchte zu springen und sich an der Kante festzuhalten, aber das Dach war entschieden zu hoch. Er wollte gerade um das Haus herumgehen, um etwas zu suchen, das ihm als Stütze dienen konnte, als eine Dogge mit tiefschwarzem Fell hinter ihm auftauchte.
    Das Tier war der größte Hund, den er jemals gesehen hatte.
    Das Tier blieb zwei Meter vor ihm stehen, starrte ihn an und knurrte leise.
    Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
    Der riesige Hund reichte ihm fast bis zur Brust. Wäre Nathan ihm unter weniger gefährlichen Umständen begegnet, hätte er ihn mit seinem mächtigen, eleganten Körper vielleicht wunderschön gefunden. Aber im Augenblick sah er nur einen Zerberus voller Angriffslust, mit bebenden Lefzen, den Kopf hoch aufgerichtet, die Ohren aufgestellt. Das kurze, glänzende Fell bedeckte eine Haut, die sich über achtzig Kilo sprungbereiten Muskeln spannte.
    Nathan spürte, wie ein Tropfen kalter Schweiß seine Wirbelsäule hinabrann. Er war nie ein großer Hundefreund gewesen. Er machte eine kleine Bewegung, aber das Tier knurrte lauter und entblößte ein beeindruckendes Gebiss.
    Der Anwalt trat einen Schritt zurück. In diesem Augenblick versuchte ihn die Dogge mit unglaublicher Heftigkeit anzuspringen. Nathan konnte ihr nur knapp ausweichen und versetzte ihr einen Fußtritt. Mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung sprang er hoch und schaffte es, sich am Dachrand der Garage festzuhalten. Er glaubte, er sei gerettet, da spürte er die Zähne der Dogge in seiner

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