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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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Wade.
    Lass ja nicht los. Wenn du jetzt fällst, verschlingt die Bestie dich mit Haut und Haaren.
    Er zappelte wild mit dem Bein hin und her, um den Hund abzuschütteln, aber ohne Erfolg. Der mächtige Kiefer hielt seine Achillesferse fest.
    Dieses Monster beißt mir noch den Fuß ab!
    Er wehrte sich mit aller Kraft und der Hund ließ endlich von ihm ab. Mehr schlecht als recht gelang es ihm endlich, sich auf das Dach zu hieven.
    Fahr zur Hölle!
    Er setzte sich einen Moment mit schmerzverzerrtem Gesicht, um Luft zu holen. Der untere Teil seiner Hose war zerfetzt. Er schlug sie zurück und stellte fest, dass die Bisswunde tief war und stark blutete. Auch das noch. Er würde sich später darum kümmern. Für den Augenblick begnügte er sich mit seinem Taschentuch als Notverband. Er konnte auf keinen Fall mehr zurück: Unten saß der Hund auf seinen muskulösen Hinterbeinen und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen, Speichel lief ihm die Lefzen herunter.
    Tut mir Leid, mein Alter, ich bin ungenießbar. Ich hoffe nur, dass du mich nicht mit Tollwut angesteckt hast.
    Trotz seiner Wunde gelang es Nathan, ohne akrobatische Kunststücke einen der kleinen Balkone des Hauses zu erreichen. Erwartungsgemäß hatte Goodrich die Klappfenster nicht verriegelt. Nathan öffnete den Fensterflügel und schlüpfte ins Haus.
    Willkommen in der Welt der Illegalität. Wenn du heute erwischt wirst, bist du deine Zulassung als Anwalt los.
    Er sah bereits die Schlagzeile einer Meldung im National Lawyer: »Angesehener Anwalt von Marble & March wegen Einbruchs zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.«
    Er war im Haus. Goodrich hatte die meisten großen Vorhänge offen gelassen, aber wegen des schlechten Wetters lag das Haus bereits im Halbdunkel.
    Er hörte den Hund draußen auf der Straße bellen.
    Diese Bestie macht noch das ganze Viertel rebellisch.
    Er musste vorsichtig sein und sich beeilen.
    Ein Gang führte zu zwei Zimmern, dann zu einem Büro. Nathan trat ein.
    Es war ein großes Zimmer mit hellem Eichenparkettboden. Auf Metallregalen befand sich eine beeindruckende Menge von Akten, Audio- und Videokassetten, Disketten und CD-ROMs.
    Nathan überflog einige Dokumente. Er glaubte zu verstehen, dass Goodrich eine Kopie der medizinischen Akten von allen Patienten aufbewahrte, die er betreut hatte.
    War das üblich?
    Die Akten waren chronologisch geordnet, entsprechend den Kliniken, in denen der Arzt während seiner Laufbahn gearbeitet hatte. Sie enthielten Fälle von 1968 bis heute.
    Nathan blätterte ungeduldig in frühen Zeiten: Medical General Hospital Boston, Presbyterian Hospital New York, Children’s Medical Center Washington …
    Endlich gelangte er zum Jahr 1972.
    In diesem Jahr beendete Dr.   Goodrich in einer Klinik der Bundeshauptstadt seine Facharztausbildung als Chirurg. Er war gerade 27   Jahre alt.
    Unter dem Stapel der Unterlagen von 1972 entdeckte der Anwalt ein kleines, broschiertes braunes Heft.
    TAGEBUCH
    Ambulatorium von Nantucket
    12.   September bis 25.   September 1972
    Nathans Vermutung, als er die Widmung auf der Platte von John Lennon gelesen hatte, bestätigte sich. Goodrich war 1972 auf Nantucket gewesen. Er hatte dort zwei Wochen im Ambulatorium ausgeholfen. Genau in der Zeit, als Nathan seinen Unfall gehabt hatte! Jetzt begriff er, weshalb Goodrichs Gesicht ihm bekannt vorgekommen war.
    Fieberhaft blätterte er in dem Tagebuch und fand, was er suchte.
    19.   September 1972
    Heute gab es im Ambulatorium einen aufregenden Fall. Am Spätnachmittag wurde ein achtjähriger Junge eingeliefert, der bereits klinisch tot war.
    Nach den Aussagen der Spaziergänger, die ihn aus dem See gefischt hatten, atmete der Junge bereits seit mehreren Minuten nicht mehr. Sie waren durch die Schreie eines kleinen Mädchens auf ihn aufmerksam geworden.
    Wir haben ihn mit Elektroschocks behandelt, aber ohne Erfolg. Trotzdem habe ich mit aller Kraft seinen Brustkorb massiert, während eine Schwester ihn mit Sauerstoff versorgte.
    Allen Erwartungen zum Trotz gelang es uns, ihn wiederzubeleben. Er lebt, liegt aber noch im Koma.
    Haben wir gut daran getan, uns so zu bemühen? Ich bin mir nicht sicher, denn selbst wenn das Kind wieder erwacht, darf man nicht vergessen, dass sein Hirn über einen langen Zeitraum nicht mit Sauerstoff versorgt wurde. Viele Zellen sind zerstört worden, und man muss leider mit Schäden rechnen.
    Ich hoffe nur, dass sich das Gehirn regenerieren wird …
    Nathan war erschüttert. Die Erinnerungen, die

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