Ein Erzfeind zum Verlieben
nicht hörten und er aufwachte, ohne dass sie es bemerkten? Oder was, wenn …
Mirabelle blieb vor Mr Cunninghams Zimmer stehen und runzelte die Stirn. Whit hatte recht, das Schnarchen, das aus dem Zimmer drang, war gewaltig. Schlimmer als der Lärm, den ihr Onkel veranstaltete, was sie bis zu diesem Moment nicht für möglich gehalten hätte.
»Das klingt nicht gesund«, flüsterte sie, als Whit die Tür zum Zimmer des Barons öffnete.
»Es klingt nicht einmal natürlich.«
Er schob sie hinein und schloss hinter ihnen die Tür. »Zumindest werden wir gewarnt sein, falls er erwacht. Fang hier an.« Er deutete auf die Kommode. »Ich nehme mir den Schreibtisch und den Schrank vor.«
Während Mr Cunningham jenseits der Wand gurgelte und sägte, ging Mirabelle die persönliche Habe ihres Onkels durch – und kam zu dem Schluss, dass sie viel zu vorschnell darauf bestanden hatte, sich an dieser Suche zu beteiligen. Ihr war nicht klar gewesen, dass sie dabei die Unterwäsche ihres Onkels durchsehen musste.
Sie verzog das Gesicht und schob mithilfe des Taschentuchs, das Whit ihr an jenem ersten Tag auf dem Dachboden gegeben hatte, und mit spitzen Fingern den Inhalt der Schubladen beiseite. Schon nach wenigen Sekunden fand sie die große Holzschachtel, die unter einem Stapel Strümpfe verborgen war. Sie zögerte kurz, bevor sie widerstrebend den Deckel öffnete – die Möglichkeiten dessen, was ein Mann wie der Baron unter seinen Strümpfen verstecken mochte, waren mannigfaltig und ausgesprochen unerfreulich.
Die Schachtel ließ sich leicht öffnen, und darin fand sie mehrere große Stapel mit Zehn-Pfund-Banknoten.
Verflixt!
Vielleicht waren sie echt. Vielleicht war ihr Onkel einfach ein Geizhals. Vielleicht …
»Mirabelle.«
Als sie sich umdrehte, stand Whit neben ihr, in der Hand ein kleines braunes Päckchen. Sein Gesicht wirkte grimmig.
»Was ist das?«, flüsterte sie.
»Beweise«, antwortete er.
Oder vielleicht waren es weitere Beweise, dachte Mirabelle unglücklich und zeigte auf die Schublade.
Er sah hinein und runzelte die Stirn, dann nahm er ein Bündel Geldscheine heraus und steckte es ein. Anschließend ergriff er ihren Arm und führte sie hinaus und durch den Flur. Er sprach erst wieder, als sie beide in Mirabelles Zimmer waren.
»Du hast noch etwas anderes gefunden? Was ist es?«, fragte sie noch einmal, während er die Tür zuzog und abschloss.
Anstatt zu antworten, reichte er ihr das Päckchen.
Sie zog den Inhalt heraus und schluckte. Sie musste nicht fragen, was es war – es war offensichtlich, wozu es diente. Es handelte sich um eine Metallplatte, die auf einer Seite graviert war. Und die Gravur sah genau aus wie ein Zehnpfundschein.
Es stimmte also. Ihr Onkel war ein Fälscher. Hätte sie nicht den Beweis in Händen gehalten, sie hätte es keine Sekunde lang geglaubt. Verblüfft starrte sie die Platte an, bis Whit das Schweigen brach.
»Mirabelle?«
Sie blinzelte, der Bann war gebrochen, und sie gab ihm die Platte zurück. »Was wirst du damit machen?«
»Ich werde sie William übergeben, zusammen mit den Geldscheinen und der Quittung für die Lieferung, die du auf dem Dachboden gefunden hast. Was danach geschieht, liegt bei ihm. Es tut mir leid, Kobold.«
Mirabelle nickte. Es gab keinen Respekt für ihren Onkel, den sie verlieren, kein Vertrauen, das verraten werden, und keinen Stolz, der sich in Scham verwandeln konnte. Aber sie war nun in der äußerst unangenehmen Situation, nicht nur mit einem jämmerlichen Trunkenbold, sondern auch einem Verbrecher verwandt zu sein.
Jetzt würde sie auf Haldon nie mehr sein als ein Gast, den man aus Barmherzigkeit aufnahm, begriff sie und unterdrückte ein Schluchzen.
Whit war zu sehr Ehrenmann, als dass er sein Wort nicht halten würde, aber der verzweifelten Nichte eines Schurken Zuflucht zu gewähren, war etwas völlig anderes, als … als was genau?
Sie zu seiner Frau zu machen?
Ihr Herz klopfte sehnsüchtig, noch während es brach.
Der Graf von Thurston würde keine Ausgestoßene zu seiner Gräfin machen.
»Mirabelle?«
Sie schluckte die Tränen und die Enttäuschung hinunter. Er hatte ihr gegenüber nie angedeutet, dass er vorhatte, um ihre Hand anzuhalten, ermahnte sie sich. Er hatte keine Versprechungen gemacht. Er hatte nicht von Liebe gesprochen. Wenn sie jemals insgeheim den Wunsch gehegt hatte, Herrin von Haldon zu werden, dann war das ihr Fehler gewesen.
Fest entschlossen, ein wenig von ihrem Stolz zu retten, setzte sie
Weitere Kostenlose Bücher