Ein Erzfeind zum Verlieben
bringen. Ich habe nur einen Scherz gemacht.«
»Ganz gleich, ob du es brauchst oder ob du scherzt, du bekommst beides«, sagte er, und sie betraten das Gästezimmer.
Sie widersprach nicht. Dazu erhielt sie gar keine Gelegenheit, denn kaum hatte er sie sanft auf das Bett gelegt, da wurde er auch schon wieder von seiner Mutter, Mrs Hanson und mehreren umstehenden Dienstmädchen energisch zur Tür hinausgeschoben.
»Vielen Dank, Mylord. Ich glaube, ab hier werden wir recht gut allein fertig.«
»Dessen bin ich mir gewiss, Mrs Hanson, aber …«
»Während wir nach ihren Verletzungen sehen, ist Ihre Gegenwart unschicklich, Eure Lordschaft.«
»Ich habe sie bereits gesehen, Lizzy. Ich möchte einen Arzt …«
»Es ist nur ein verstauchter Knöchel.«
»Trotzdem …«
»Hinaus!« Letzteres kam von Lady Thurston. Sie unterstrich den Befehl mit einem Stoß, der ihn endgültig zur Tür hinausbeförderte.
Solchermaßen verbannt und darüber nicht sonderlich glücklich, stand Whit im Flur und starrte die Tür einen Moment lang zornig an, dann wandte er sich ab.
Er würde nicht wie ein liebeskranker Welpe vor dem Zimmer herumlaufen und auf jede kleine Neuigkeit warten, sondern sich in sein Studierzimmer begeben, wo er sich einen großen Brandy einschenken konnte.
Vielleicht auch zwei große Brandys.
Vielleicht ließ er das Einschenken ganz bleiben und trank gleich aus der Flasche. Was auch immer notwendig war, um die Erinnerung an Mirabelle auszulöschen, wie sie blutend am Fuße eines steilen Hügels lag.
Bei dem Gedanken daran krampfte sich ihm das Herz zusammen; die gleiche Panik hatte er empfunden, als sie vom Weg verschwunden war. Die Erleichterung darüber, sie bei Bewusstsein und verhältnismäßig unversehrt am Fuße des Hügels gefunden zu haben, war beinahe überwältigend gewesen. Genau wie das Verlangen, sie in die Arme zu schließen, zu wiegen, zu liebkosen und zu streicheln, bis die Schmerzensfalten in ihrem Gesicht geglättet waren.
Es war, befand er jetzt, eine ganz natürliche Reaktion bei dem Anblick einer Frau, die sich in Gefahr und Unannehmlichkeiten befand. Und nachdem er die Panik beiseitegeschoben und die Situation zufriedenstellend gehandhabt hatte, sah er keinen Grund, sich weiter damit zu befassen.
Es ging nicht darum, dass es ihm peinlich war, das Darauffolgende war ihm nur viel peinlicher gewesen – als die anfängliche Sorge um ihr Wohlergehen verflogen war und er sie aufgehoben hatte. Weich und warm und zerzaust hatte sie an seiner Brust gelegen und ihm die Arme um den Hals geschlungen. Sie hatte nach Erde und Rosen gerochen.
Und zum dritten Mal in zwei Tagen reagierte er auf Mirabelle wie ein Mann auf eine Frau – nicht wie auf ein kleines Mädchen, einen unangenehmen Hausgast oder auf eine Gegnerin, sondern wie auf eine Frau.
Plötzlich hatte er sie aus Gründen berühren wollen, die mit Trost nichts zu tun hatten. Er wollte sie stöhnen und wimmern hören, doch nicht aus Not. Oder, genauer gesagt, aus einer ganz anderen Not.
In seiner Vorstellung hatte er sich gesehen, wie er sie auf dem weichen Erdboden ablegte, ihr das zerrissene Kleid abstreifte und seinen Händen freien Lauf ließ. Er hatte sich vorgestellt, diesen faszinierenden Schönheitsfleck über ihrer Lippe zu kosten und sich dann zu ihrem Ohr vorzuarbeiten, ihren Hals entlang nach unten und tiefer. Und noch tiefer.
Ob er vielleicht irgendwo diesen blauen Satin finden würde?
Als sie sich in seinen Armen gewunden hatte, hatte sein Blick die Stelle gestreift, wo sein Mantel sie bedeckte, und der Anblick weckte in ihm Besitzerstolz … und ein beträchtliches Maß an Selbstvorwürfen.
Sie war verletzt, Herrgott noch mal. Und da hatte er erotische Fantasien, wie er sie auf der Erde nahm. Er hatte doch wohl gewiss mehr Selbstbeherrschung.
Auf jeden Fall besaß er mehr Raffinesse.
Jetzt, als er durch das Studierzimmer direkt auf den Tisch mit den Getränken zusteuerte, machte ihm eine unselige Mischung aus Sorge und Lust zu schaffen.
»Dafür ist es ein bisschen früh, oder?« Beim Klang von Alex’ Stimme drehte Whit sich nicht einmal um. Sein ältester Freund brauchte keine Einladung, um hereinzukommen und es sich auf seinem Lieblingsplatz am Kamin gemütlich zu machen – über solcherlei Förmlichkeiten hätte er nur gelacht. Whit konzentrierte sich lieber darauf, sein Glas zu füllen.
»Die Länge mancher Tage bemisst sich daran, wie viel Zeit dem Gefühl nach verstrichen ist, im Gegensatz zu dem, was die
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