Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
Bankfiliale«, sagte meine Mutter, aber man konnte ihr ansehen, dass sie sich etwas entspannte.
Hannah winkte Robbie huldvoll zum Abschied, nachdem sie die Rechnung unterzeichnet hatte, und hakte sich bei mir unter. »Sag jetzt nichts«, flüsterte sie. »Vor allem, wenn du gerne sagen möchtest, er sähe scheiße aus und wäre überdies zu jung für mich.«
»Er sieht super aus«, sagte ich. »Wahrscheinlich hat er sich in dich verliebt.«
»Aber ja doch«, sagte Hannah. »Übrigens habe ich jemanden kennengelernt.«
Wenn Hannah »jemanden kennenlernte«, bedeutete es in der Regel, dass der Jewish-Dating-Club anhand ihres Profils einen neuen Partner für sie ausgewählt hatte. Es bedeutete zudem, dass die nächsten Tage und Wochen erfüllt waren mit Geschichten über irgendwelche Aris, Jaakovs, Joels oder Gils, die sich mal mehr, mal weniger aufregend anhörten und stets wieder im Sande verliefen. Das schien Hannah erstaunlich wenig auszumachen, genauso wenig wie es ihren Enthusiasmus und ihre Zuversicht bremste, eines Tages mit dem richtigen Mann an ihrer Seite nach Israel zu emigrieren. Als ich noch kleiner war, rechnete ich fest damit, eines Tages eine Karte aus Haifa oder Tel Aviv mit ihrer neuen Adresse im Briefkasten zu finden. Einmal hätte sie es fast geschafft, da war sie mit einem Eli aus Eilat zusammen und hatte schon die fünfte Doppelstunde in ihrem Hebräisch-Crashkurs absolviert, aber dann stellte sich heraus, dass Elis Familie große Bedenken angesichts einer Liaison mit einer Schickse aus Deutschland hatte, und weil die Familie ziemlich viel Geld besaß, erfassten diese Bedenken auch recht bald Eilat-Eli, und das war’s dann. Ich glaube, mit dieser Geschichte hatte Hannah hinterher mehr als sonst zu tun gehabt, weil es dabei nicht um sie selbst gegangen war, sondern um ihre fragwürdige Herkunft als Vaterjüdin. Ich hielt den Ausdruck für ein Schimpfwort, als ich ihn zum ersten Mal hörte, aber Hannah erklärte mir, dass er nichts anderes wäre als eine Bezeichnung für die Kinder jüdischer Väter und nichtjüdischer Mütter. Vaterjuden, sagte sie, hätten einen Anspruch auf die israelische Staatsbürgerschaft, aber wenn sie richtige Juden sein wollten, müssten sie erst mal konvertieren, mit allem Drum und Dran. Ich bin mir ziemlich sicher, dass kaum etwas in ihrem Leben Hannah so anschiss wie diese Tatsache.
»Wie heißt er?«, fragte ich.
»Edgar«, antwortete sie.
»Edgar? Ist er kein Jude?«
»Doch«, sagte Hannah. »Keine Ahnung, wie er zu diesem Vornamen gekommen ist.«
Ich fand, dass ein Jude namens Edgar ganz ausgezeichnet zu unserer Familie passte, aber für solche Kommentare war es noch zu früh, zumal es sehr viel wahrscheinlicher war, dass keiner von uns Edgar je zu Gesicht bekommen würde.
»Gabor ist nett«, sagte ich stattdessen. »Er ist Spielzeugtester und lässt Teddys explodieren.«
»Wow«, sagte Hannah. »Was für ein interessanter Beruf. Ich wusste gar nicht, dass er überhaupt einen hat.«
Der Italiener hieß »Da Enzo« und war bis auf einen einsamen Gast am Fenster völlig leer, als wir ankamen. Irgendwo im Hintergrund lief eine Fußballübertragung mit italienischer Moderation, und eine schlecht gelaunte Dame mittleren Alters leierte mit starkem lokalem Akzent für uns die »Spezialidätn des Tages, die nicht uff der Gorte stähen« herunter. Sie trug eine Bienenkorbfrisur und metallic-blauen Lidschatten. Gabor starrte sie mit weit aufgerissenen Augen hinter seiner Pilotenbrille an, als würde er jeden Moment damit rechnen, dass sie Arme oder Beine verlor oder in Flammen aufging. Als sie sich schließlich zurückzog, atmete er laut hörbar aus.
»Egal, was ihr denkt, aber ich finde, sie hat ihre Sache gut gemacht«, sagte Hannah.
»Ist das Frau Enzo gewesen?«, fragte ich.
»Nein«, sagte meine Mutter. »Ich bin sicher, sie heißt Peggy und hilft freitags aus, weil es da immer so brechend voll hier ist.«
»Kann es sein, dass sie was von ›koscher‹ gesagt hat?«, fragte Hannah.
»Nie im Leben«, sagte meine Mutter. »Sie hat ›coccio‹ gesagt. Sie hat es jedenfalls versucht. Das ist ein Fisch, aber frag mich nicht, welcher.«
»Ich nehme Pizza Margerita und ein Mineralwasser«, sagte ich und klappte die Speisekarte wieder zu.
»Ich auch«, sagte Gabor erleichtert.
Peggy nahm unsere Bestellungen mit unbewegter Miene entgegen und kehrte überraschend schnell mit den Getränken zurück. Hannah erhob ihr Rotweinglas und prostete uns zu.
»Auf die
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