Ein Fall zu viel
Blümchentapete entlang. Dort schob Pielkötter einen rot-weiß karierten Vorhang zur Seite und schaute auf ein ganzes Arsenal an Dosen der Marke Aldi-Süd.
»Aha, typische Hausmannskost für einen Junggesellen«, ließ Barnowski wissen, »zumindest für einen aus dieser Generation.«
»Witwer«, verbesserte ihn Pielkötter, während er einen Blick in die Spüle warf, in der sich ein kleiner Stapel von schmutzigem Geschirr türmte.
Neugierig zog er die Kühlschranktür auf und starrte auf etliche Flaschen Köpi, ein halbleeres Glas saurer Gurken und drei Packungen Wurst, zwei davon waren angebrochen. Der Eindruck aus dem Badezimmer verfestigte sich. Dieser Mann hatte keinen Selbstmord begangen, überlegte Pielkötter. Und wenn ich damit falsch liegen sollte, gebe ich meinen Beruf auf, studiere Psychologie und trete in Mark Miltons Fußstapfen. Den Psychologen hatte er bei einem seiner früheren Fälle kennengelernt.
Der ansteigende Lärmpegel verriet, dass das Team der Spurensicherung nun mit allen Gerätschaften und selbstverständlich in voller Montur im Einsatz war. Plötzlich hatte Pielkötter es sehr eilig, die Küche zu verlassen.
»Wir sehen uns noch kurz Wohn- und Schlafzimmer an«, sagte er zu Jochen Drenck, mit dem er in der Diele um ein Haar zusammengestoßen wäre. »Wenn Sie schon einmal mit dem Rest anfangen würden.«
Barnowskis Miene schien zu besagen, dass sein Chef mit dem stets freundlichen Drenck das große Los gezogen hatte: Wer weiß, ob ein anderer so mit sich umspringen ließe.
Pielkötter tadelte ihn für diese Einschätzung mit einem entsprechenden Blick und wandte sich in Richtung Schlafzimmer. Dort stand noch ein Ehebett. Offensichtlich hatte Erwin Lützow auf der rechten Seite geschlafen. Im Gegensatz zur linken Hälfte war das Oberbett dort zurückgeschlagen. Pielkötter öffnete die Nachttischschublade und zog einige Pornohefte heraus. Barnowski grinste wieder in einer Art und Weise, die ihn in Rage brachte.
»Chef, blättern Sie ruhig mal durch«, erdreistete sich sein Mitarbeiter auch noch. »Rein dienstlich natürlich. Das versteht sicher auch Ihre Frau.«
Das Erwähnen von Marianne war nicht gerade dazu angetan, Pielkötters Laune zu heben. Die neuen Unstimmigkeiten so kurz nach der lang herbeigesehnten Versöhnung gingen ihm immer noch ziemlich nahe.
»Ich übernehme das Blättern auch gerne für Sie«, ließ ihn Barnowski wissen. »Wer weiß, was der Erwin in diesen Heften verborgen hat?«
Wann geht dem endlich dieses beschissene Grinsen aus dem Gesicht, dachte Pielkötter ärgerlich. »Das erledigt der Erkennungsdienst«, sagte er laut.
Der Wohnraum gab auf den ersten Blick nicht besonders viel her, zumindest nichts, was den Fall betraf. Pielkötter jedoch fühlte sich magisch von der Fotosammlung über einem breiten, abgenutzten Ledersofa angezogen. Auf etlichen Fotos war Lützow mit seiner Frau abgebildet, auf einigen war auch seine Tochter zu sehen. Offensichtlich hatte er die Beziehung zu seinem Kind doch nicht vollständig abbrechen können.
»Nun gut«, erklärte er. »Ich glaube, fürs Erste habe ich genug gesehen. Sollte sich noch etwas Wichtiges finden, steht das ja nachher im Bericht.«
»Eigentlich schade«, erwiderte Barnowski mit einem gewissen Unterton. »Ich hätte mich gerne weiter hier umgesehen und in die Unterlagen vertieft.«
»Wenn das nicht reicht, um einen genauen Eindruck zu gewinnen, haben Sie wohl Ihren Beruf verfehlt«, schnauzte Pielkötter. Sofort tat ihm diese Einschätzung leid. Irgendwie hatte Barnowski das nun doch nicht verdient. Was war nur mit ihm los? Saß ihm die Befürchtung im Nacken, die Krise in seiner Ehe könnte von vorne losgehen? Schluss jetzt, rief er sich zur Räson, schließlich war er hier im Dienst.
»Wenn der Fall abgeschlossen ist, lade ich Sie auf ein Köpi ein«, bemerkte Pielkötter plötzlich, obwohl er das eigentlich gar nicht hatte sagen wollen. Oder doch?
»Wieso?«, fragte Barnowski, diesmal nicht mit dem penetranten Grinsen, sondern sichtlich irritiert.
»Nun ja, ich denke, die vielen Bierflaschen im Kühlschrank haben mich inspiriert. Zudem ist der Abschluss eines Falles etwas Besonderes.«
9. Kapitel
Der Anfang eines Songs von Rihanna schreckte Julia Deche aus ihren Gedanken. Fast zeitgleich sandte Professor Brinkmann einen tadelnden Blick in ihre Richtung. Einige Teilnehmerinnen der Vorlesung kicherten. Sie errötete und schaltete schnell ihr Handy aus. Mist, dachte sie. Das war bestimmt Nicole.
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