Ein Fall zu viel
nicht zu ihr. Oder doch? Vielleicht war sie ganz anders, und er hatte das bisher nur noch nicht bemerkt.
»Jetzt fehlen dir die Worte, was?«, fragte sie in demselben Tonfall. »Dabei habe ich nichts anderes gesagt als die Wahrheit. Aber du brauchst nicht länger nach einer passenden Antwort zu suchen. Ich bin müde und gehe jetzt ins Bett.«
Nach ihrer Miene zu urteilen, hatte sie in Gedanken »und zwar allein« hinzugefügt, und das versetzte ihm einen Stich. Besonders, weil er die große Versöhnung noch vor Augen hatte. War das wirklich erst zwei Nächte her? Wieso hatte sich dieses Gefühl von Zusammengehörigkeit so schnell verflüchtigt? Pielkötter verspürte nicht die geringste Lust, diese Fragen zu beantworten. Vor allem nicht, die unangenehmen Gedanken, die auf ihn einströmten, zu Ende zu denken.
»Wie du meinst«, sagte er eisig und drehte sich von ihr weg. Mit versteinerter Miene starrte er auf den Bildschirm seines Computers.
11. Kapitel
»Chef, Sie wollten mich sprechen«, erklärte Barnowski, als er Pielkötters Büro betrat. Natürlich ohne vorher anzuklopfen. »Ich hoffe, wir haben eine heiße Spur im Fall Erwin Lützow.« Aber Big Boss sah nicht gerade danach aus, als würde es in absehbarer Zeit den großen Durchbruch geben.
»Mögen Sie einen Kaffee?«
Barnowski kippte die Kinnlade kaum merklich herunter. Hoffentlich hatte das nicht dauerhafte Urlaubssperre oder sonst etwas Unangenehmes zu bedeuten. Bisher hatte sein Chef ihm jedenfalls noch nie einen Kaffee angeboten. »Kann nicht schaden«, antwortete er irritiert.
Pielkötter erhob sich tatsächlich, kam hinter seinem monströsen Schreibtisch hervor und machte sich an einer kleinen Anrichte zu schaffen. Zwar gab es im Präsidium auch einen großen Kaffeeautomaten, aber der Weg bis zum Aufenthaltsraum war ihm oft zu weit. Deshalb hatte er hier eine eigene kleine Maschine aufgestellt. Der Kaffee war schon durchgelaufen.
»Bitte«, sagte Pielkötter und stellte ihm eine Tasse hin, nachdem er vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte. »Der Bericht der Spurensicherung ist übrigens gestern schon gekommen.«
»Und?« Barnowski hätte sich fast an dem heißen Kaffee verschluckt. »Hat die Spusi was Brauchbares für uns gefunden?«
»Schwer zu sagen. Zumindest waren ein Zettel mit einer Telefonnummer darunter und einige Zigarettenstummel. Die Fingerabdrücke haben die Kollegen echt überfordert.«
»Möchte auch nicht wissen, wie viel Tausend Leute das Geländer schon angefasst haben.«
»Übrigens habe ich unsere Praktikantin darauf angesetzt, die passende Adresse zu der Rufnummer herauszufinden«, fuhr Pielkötter fort.
»Na ja, sie muss bei uns schließlich mehr lernen, als den Lochhausner zu becircen. Zudem kann sie das ja schon.« Über Barnowskis Gesicht zog sich ein breites, fast anzügliches Grinsen.
»Die DNA-Analyse der Spuren auf den Kippen läuft«, erklärte Pielkötter, ohne darauf einzugehen. »Allerdings nützt uns das herzlich wenig, solange wir keinen Verdächtigen vorweisen können. Es sei denn, der Täter ist bereits erfasst.«
»Ich habe Ihren Auftrag übrigens schon ausgeführt und mich noch einmal oben auf der Plattform umgesehen«, bemerkte Barnowski. »Sie haben Recht. Ein Unfall ist wirklich unwahrscheinlich. Kaum zu glauben, dass jemand unabsichtlich über die Brüstung kippt. Dafür ist die einfach viel zu hoch.«
»Ich hasse diese uneindeutigen Fälle. Hoffentlich gelingt es uns bald festzustellen, ob es nun Mord war oder nicht«, entgegnete Pielkötter mit ärgerlicher Miene.
Barnowski beschlich jedoch das Gefühl, dass sein Chef sich noch über ganz andere Dinge aufregte.
12. Kapitel
Aufgeregt lief Julia Deche den Gang im Präsidium auf und ab. Nach einer Wartezeit von fast fünfzehn Minuten hatte ihre Nervosität einen Höhepunkt erreicht. Dabei hatte alles so gut angefangen. Die ersten Worte hatte sie mit einer freundlichen jungen Frau gewechselt. Zu der hatte sie sofort Vertrauen gefasst. Die Polizistin hatte ihr erklärt, dass sie mit ihrem Anliegen bei Kommissar Barnowski in besten Händen sei. Allerdings wäre der noch kurz bei seinem Chef, und sie möge sich bitte etwas gedulden. Inzwischen fragte sich Julia Deche, ob es wirklich eine so gute Idee war, die Polizei einzuschalten. Schließlich war ihr ja nichts passiert. Wenn sie ganz ehrlich zu sich war, gab es jedoch einen anderen Grund, warum sich das Grummeln in ihrem Magen zusehends verstärkte.
Sie hatte schon einmal sehr schlechte
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