Ein Fall zu viel
im Dienstwagen saßen.
»Die große Trauer hat der Noch-Ehemann jedenfalls nicht raushängen lassen«, antwortete Barnowski nach einer Weile. »Bei ihr war das ja eh nicht zu erwarten. Im Prinzip haben wir den beiden ja eine frohe Botschaft überbracht. Der Altenkämper mag seine Frau sicherlich gegen eine wesentlich attraktivere eingetauscht haben, für die Wohnverhältnisse gilt jedoch das Gegenteil. Durch diesen Unfall bekommt er nun alles. Und zwar sofort.«
»Da haben Sie Recht, und das stört mich irgendwie.«
»Was?«, fragte Barnowski lachend. »Dass ich Recht habe?«
»Sie wissen doch, wie ich das gemeint habe«, entgegnete Pielkötter mit leichtem Ärger in der Stimme. »Da haben wir ein Supermotiv, aber fast alles andere deutet auf einen ganz gewöhnlichen Unfall hin.«
»Wieso nur fast?«
»Die Uhrzeit beispielsweise. Aus welchem Grund läuft eine Frau nachts allein draußen herum?« Pielkötter fiel auf einmal ein, was Marianne wohl dazu gesagt hätte. So weit war es schon gekommen, dass er solche verqueren Vorstellungen von der Rolle der Frau in seine Überlegungen einbezog. Wohlwollend nahm er zur Kenntnis, dass Barnowski nicht darauf einging, sondern einen konkreten Vorschlag machte.
»Vielleicht ist sie auf dem Heimweg von einer Feier gewesen. Sie ist zu Fuß gegangen, weil sie auf der Fete was getrunken hat.«
»Nein!«, erklärte Pielkötter bestimmt. »In diesem Fall hätte sie die falsche Richtung eingeschlagen.«
»Aber sie könnte auf dem Heimweg doch etwas verloren haben und deshalb noch einmal zurückgegangen sein. Unachtsamkeit würde auch zu einem erhöhten Alkoholspiegel passen.«
»Leider werden wir eine Obduktion nicht durchkriegen, genauso wenig wie einen Durchsuchungsbeschluss für das Haus.«
»Dann sollten wir uns nicht länger den Kopf zerbrechen und das Ganze zum Wohle des Steuerzahlers als tödlichen Unfall abhaken.«
Pielkötter schnaufte, was nicht unbedingt seine bedingungslose Zustimmung ausdrückte.
23. Kapitel
Ausnahmsweise hatte Pielkötter einmal pünktlich Feierabend gemacht, was Barnowski mit einigen Bemerkungen kommentiert hatte. Obwohl er seinem Mitarbeiter gegenüber zu keiner Rechenschaft verpflichtet war, hatte er sein ungewöhnliches Verhalten mit einem wichtigen privaten Termin erklärt. Zuerst hatte er daran gedacht, seinen kranken Vater ins Spiel zu bringen. Allerdings mochte er nicht lügen, obwohl er seiner Mutter versprochen hatte, ihn an diesem Wochenende erneut zu besuchen. Fakt war jedoch, dass er vor dem Treffen mit Katharina Gerhardt unbedingt noch einmal nach Hause wollte, um zu duschen und frische Kleidung anzuziehen. Andere Leute machen immer um diese Zeit Feierabend, rechtfertigte er sich vor einer inneren Instanz, die sein Verhalten anscheinend für ungebührlich hielt.
Pielkötter duschte länger als üblich. Wenig später stand er nackt vor dem Spiegelschrank direkt gegenüber dem Ehebett. Er zog den Bauch ein und drehte sich zur Seite. Gar nicht mal so übel, urteilte er. Sofern er dem Bild glauben durfte, hatte er in der letzten Zeit einige Kilos abgenommen. Kein Wunder, wenn Marianne sich kaum noch um das Kochen kümmerte, und der Speiseplan hauptsächlich vom Zeitfaktor diktiert wurde. Nachdenklich öffnete er die Schranktür und ließ seinen Blick über etliche Hemden, Hosen und Jacketts schweifen. Normalerweise griff er immer recht wahllos zu. Entweder passte es, oder Marianne wies ihn auf eine modische Verfehlung hin.
Bei dem Gedanken an seine Frau durchfuhr ihn ein kleiner Stich. »Was soll’s«, sagte er laut mit einem Anflug von Trotz in der Stimme. »Ich besitze doch sowieso nur dezente Kleidung.«
Nachdem er sich angezogen hatte, rannte er ins Bad zurück und klopfte sich etwas Rasierwasser auf die Stellen, an denen kurz zuvor noch einige Bartstoppeln gestanden hatten. Anschließend betrachtete er sein Gesicht noch einmal im Spiegel. Schaute ihn da wirklich Willibald Pielkötter an? Dieser Mann, der seiner Frau einst ewige Treue geschworen hatte. Der seine Familie über alles liebte, auch wenn er das nicht gerade gut zeigen konnte. Aber dann fiel ihm Mariannes Lüge ein. Unwillkürlich zog sein Magen sich krampfhaft zusammen, und er wandte sich vom Spiegel ab.
Als Pielkötter nach neuem Rasierwasser duftend und in dem besten Jackett das Haus verließ, stand sein Nachbar Alfons Drescher im Vorgarten. »Kaum da und schon wieder fort«, bemerkte er lachend. »Ich hoffe nicht wegen der bösen Duisburger
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