Ein Fall zu viel
von Listen gesprochen?«, fragte Pielkötter irritiert.
Der Psychologe lächelte. »Dabei dachte ich an eine andere Gegenüberstellung. Etwa in der Art: Vorteile und Nachteile einer Trennung von Marianne.«
»Das mit den Listen hat was«, sagte Pielkötter anerkennend. »Diese Art der Problemlösung liegt mir nicht so fern. Nur eine Frage habe ich dazu noch.« Milton musterte ihn äußerst interessiert. »Die sind eher, wie soll ich das ausdrücken?« Pielkötter dachte angestrengt nach. »Marianne-lastig.«
Milton lächelte erneut. »Was erwarten Sie. Ihre Frau ist eben die Person, die Sie am besten einschätzen können. Immerhin sind Sie über dreißig Jahre mit ihr verheiratet. Von Katharina Gerhardt wissen Sie praktisch nichts. Erst recht nicht, ob sie Ihrer Jugendliebe wirklich ähnelt. Nicht nur äußerlich, schließlich dürfte die sich in den vergangenen Jahren auch verändert haben. Vor allem vom Charakter her, meine ich.« Milton rückte seine Brille zurecht. »Damit will ich keinesfalls sagen, dass Sie nicht die bessere Partnerin für Sie wäre. Jedoch können weder Sie noch ich das zum jetzigen Zeitpunkt beurteilen. Nach gründlicher Überlegung werden Sie allerdings wissen, ob Sie mit Marianne weiter zusammenleben wollen. Unabhängig davon, was Sie sich von einer Beziehung mit Katharina Gerhardt erhoffen.«
»Ich denke, das war doch ein bisschen mehr als ein Gespräch von Mann zu Mann«, entgegnete Pielkötter nachdenklich. »Und ich finde, Sie sollten mir eine Rechnung schicken.«
»Nein!«, erklärte Milton bestimmt. »Nicht, nachdem Sie mir gesagt haben, dass es auch um Katharina Gerhardt geht. Zudem haben Sie mich mit Vanessa zusammengebracht. Und dafür bin ich Ihnen wirklich sehr dankbar.«
Pielkötter erhob sich. Auf seiner Miene zeigte sich der Anflug eines Lächelns. »Danke«, sagte er. »Ein langer Weg liegt noch vor mir. Aber ich glaube, Sie haben die Marschroute festgelegt. Und das ist vielleicht mehr, als ich erwarten konnte.«
34. Kapitel
Verschlafen öffnete Julia Deche die Wohnungstür und hob die Tageszeitung von der Fußmatte auf. Wie immer hatten die Vermieter die aktuelle Ausgabe gegen zehn Uhr dort deponiert. Leider kam sie meist nur am Wochenende dazu, die neusten Nachrichten zu lesen. Heute jedoch war Samstag, und sie freute sich auf ein ausgiebiges Langschläferfrühstück mit Zeitungslektüre. Überhaupt war der Vormittag ihre Zeit. Die Ängste verspürte sie erst später. Kein Wunder. Schließlich waren ihr alle schrecklichen Dinge nie morgens passiert.
Julia Deche lief in ihre winzige Wohnung zurück und setzte sich an den einzigen Tisch. Ihre Hand umfasste die Tasse mit dem frisch gekochten Kaffee. Inzwischen war der soweit abgekühlt, dass sie ihn trinken konnte. Zuerst schlug sie immer den Lokalteil auf. Sie überflog einen Artikel über Zuwanderer aus Rumänien, die die Stadt vor große Probleme stellten, dann sprang ihr eine andere Überschrift ins Auge: »Seltsamer Überfall auf Studentin an der Duisburg-Essener Universität aufgeklärt«.
Ihr Atem stockte. Im ersten Moment hatte sie das Gefühl, sie selbst sei gemeint, aber das konnte natürlich nicht sein. Sie hatte niemandem von dem Angriff im Wald erzählt. Mit geweiteten Pupillen fuhr sie die Zeilen entlang. Als sie zu Ende gelesen hatte, entfuhr ihr ein tiefer Seufzer. Obwohl ihre Hände immer noch zitterten, fühlte sie sich plötzlich wie befreit. Die Last einer ungeheuren Verantwortung war mit einem Schlag von ihren schmalen Schultern gerutscht. Der Täter, ein Dr. Böhmer, hatte sich umgebracht. Sie hatte nicht dazu beitragen müssen, dass man ihn ergreifen konnte. Er würde nie wieder wehrlose Frauen überfallen.
35. Kapitel
Mit einer Miene, die intensives Grübeln verriet, saß Pielkötter hinter seinem Schreibtisch. Das Wochenende war bis auf einen kleinen Lichtblick nicht gerade nach seinem Geschmack verlaufen. Marianne hatte er kaum gesehen. Am Samstag hatte sie in der Boutique gearbeitet, und er war nach Münster gefahren. Dort hatte er ein ausführliches Gespräch mit dem Arzt seines Vaters geführt. Die vorsichtige Prognose hatte ihn etwas beruhigt. Nach dem letzten CT ging man von einer geringeren Schädigung des Gehirns aus als zunächst befürchtet. Auch die Krämpfe hatten nachgelassen, sofern er das richtig verstanden hatte. Deshalb hatte man eines der Medikamente reduziert. Vielleicht war sein Vater deshalb zum ersten Mal richtig ansprechbar gewesen. Die ersten Worte seines alten Herrn
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