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Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)

Titel: Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Birkhoff
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Es stimmte. In puncto Deko war meine Mutter unschlagbar. Sie hatte immer ein fantastisches Gespür für Farben gehabt.
    Am Tag unseres ersten Treffens hatte ich mich auch mit Carla verabredet. Es war Schützenfest, und Carlas Eltern waren dort und hatten mir ausrichten lassen, dass sie sich freuen würden, wenn ich mit Carla zum Schützenfest kommen würde. Es war, als wäre mir nun alles Schöne dieser Stadt möglich. Es war, als hätten sich die Dinge zum Positiven gekehrt, und meine alte Heimatstadt erschien mir im strahlenden Sonnenschein alles andere als trist. Ich war hier so unglücklich während meiner Kindheit und Jugend, und ich hatte den unerschütterlichen Willen, alles dazu beizutragen, dass die bösen Erinnerungen einer schönen Gegenwart und noch schöneren Zukunft weichen sollten. Carla hatte einen Termin bei Raphael, dem Inhaber von Il Figaro. Eigentlich wollte ich Carla nur begleiten, aber meine Haare, mittlerweile bis zur Mitte des Rückens reichend, hatten einen Grundschnitt bitter nötig. Als Carla und ich bei Raphael fertig waren, hatte sie ihre Spitzen schneiden lassen und eine Tönung im Haar, und meine Haare waren einem Zweimillimeterhaarschnitt gewichen.
    »Und?«, fragte Carla, »wie fühlst du dich jetzt so mit kurzen Haaren?«
    »Sieht komisch aus, ne?«, fragte ich unsicher zurück und strich mir über die Stoppeln.
    »Ist zwar praktisch bei dem Wetter, aber ein bisschen sehr kurz, finde ich.« Carla schaute nicht sehr begeistert.
    Tief im Innern weinte ich um meine Haarpracht. Ich fühlte mich, als hätte ich meine Weiblichkeit bei Il Figaro auf den Boden geworfen.
    Der Termin des ersten Treffens mit meiner Mutter rückte näher. Ich war mächtig nervös, als ich vor Jürgens Haus stand und die Klingel betätigte. Würde Jürgen Recht behalten? Würde meine Mutter tatsächlich das erste Mal in ihrem Leben Interesse an ihrer einzigen Tochter bekunden? Die Tür öffnete sich. Meine Mutter lächelte mich an. Sie lächelte mich wirklich und wahrhaftig an. Ich konnte es kaum glauben.
    »Komm doch rein«, sagte sie immer noch lächelnd, und verwirrt trat ich in den Flur. Eine Flut von Erinnerungen wollte sich hochtürmen, und im Geiste mähte ich sie alle nieder. Nicht jetzt.
    Sie führte mich in die Küche.
    »Ich habe Apfelkuchen für dich gebacken«, murmelte meine Mutter verlegen.
    Noch nie, ich schwöre, noch nie hatte meine Mutter für mich irgendetwas gebacken. Sie musste entweder krank oder urplötzlich sehr, sehr weise geworden sein. Im Gegensatz zu Jürgen war sie in den letzten Jahren deutlich gealtert. Darüber konnten auch ihr flotter Kurzhaarschnitt und ihre schlanke Figur nicht hinwegtäuschen. Man sah, dass sie zügig auf die fünfzig zuging. Es wäre schade, dachte ich so bei mir, wenn wir die nächsten Jahre nicht nutzen würden, gemeinsam Spaß zu haben.
    »Bevor wir uns unterhalten, möchte ich, dass du mir eine Frage beantwortest«, begann meine Mutter. »Ist an dem Gerücht, dass da irgendetwas zwischen dir und Jürgen gelaufen ist, etwas dran, oder waren das deine Hirngespinste, die du da verbreitet hast?«
    Noch bevor ich antworten konnte, schaltete meine Mutter den Mixer ein, der jedes Geräusch übertönte.
    »Nein«, murmelte ich kaum hörbar. »Nein, da ist nichts dran.«
    Ich saß im Auto und war auf der Autobahn zurück nach Hannover. Ich hatte die Wahrheit verkauft. Ich hatte mich selbst verkauft und verraten, mich der Lüge bezichtigt und Jürgen zum Heiligen geweiht. Ich hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, und ich hatte Angst. Panische Angst.
    Der Nachmittag mit meiner Mutter war wunderschön gewesen. Sie hatte viel gelacht, und ihre Anspannung wich unübersehbar. Ich liebte meine Mutter, und ich liebte sie ganz besonders, wenn sie mit mir lachte und mir, wie heute, das Gefühl gab, gern mit mir zusammen zu sein. Es war ein Gefühl, das ich vermisst hatte, ein Gefühl, das ich irgendwie kannte, aber keiner realen Erinnerung zuordnen konnte. Heute konnte ich mein Gefühl einer Wirklichkeit zuordnen. Es hatte tatsächlich stattgefunden, und wieder und wieder holte ich mir ihr Gesicht, ihr Lachen, ihre Lebensfreude in mein Gedächtnis zurück. Ich berauschte mich an diesen Bildern und dachte, es könnte vielleicht ein einziges Mal auf dieser Welt tatsächlich egal sein, dass diese schönen Gefühle auf einer grauenvollen Lüge basierten. Einer Notlüge, wie ich fand, einer fast liebevollen Lüge, wie ich es in meinem Kopf und in meinen Gedanken

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