Ein falscher Traum von Liebe: Der lange Weg aus der Hölle meiner Kindheit (German Edition)
lernte wie besessen, erklärte den Kolleginnen rechtliche Zusammenhänge, organisierte eine abendliche Lerngruppe in meiner Wohnung und sammelte in den Stunden mit Capriola Kraft. Das Pferd und die Reiterei waren die einzige Chance für mich, einmal richtig abzuschalten. Ich liebte Capriola. Typisch Skorpion war er: mutig, intelligent, vorsichtig, skeptisch und immer zur Leistung bereit. Für ein Lob von mir brachte das Tier sich fast um. Capriola war völlig fixiert auf mich. Wir verstanden uns wortlos. Verstanden uns mit Gesten, die kaum ein anderer wahrnahm. Er lernte und lernte und lernte. Niemandem war es bis jetzt gelungen, dieses Pferd auch nur zu longieren, geschweige denn zu reiten. Ich ritt mit ihm ohne Sattel und ohne Reithalfter Piaffe-Passage-Übergänge, und meinem Schwiegervater verschlug es die Sprache.
Vier Monate vor dem Ende der Ausbildung hatte Felix die Tür meiner Wohnung von außen zugeschlagen. Es folgte das reinste Chaos. Immer wieder standen wir heulend voreinander und kamen nicht weiter. Ich schlug vor, dem Thema Heiraten etwas mehr Glanz und Abenteuer zu verpassen, um die diffusen Ängste von Felix beiseitezudrängen. Warum nicht nach New York fliegen? Wir könnten heiraten, nach New York fliegen, Weihnachtseinkäufe machen und gelassen unserer Zukunft entgegenblicken. Ich würde im Frühjahr nach Ruhrstadt versetzt werden, und unser Leben ginge fröhlich weiter. Felix nickte und schwieg. Ich wertete dies als Zustimmung und schöpfte wieder Hoffnung. Dann die Enttäuschung. Felix wollte nicht. Felix konnte nicht. Er selbst wusste nicht, warum. Doch, doch, so beteuerte er, doch, doch, er würde mich lieben, er wolle keine andere Frau, er wollte aber nicht heiraten.
Ich schmiss ihn raus. Er kam wieder. Ich schmiss ihn raus. Er kam wieder. Ich schmiss ihn wieder raus, und wieder kam er zurück. Es war grauenvoll. Es war absolut grauenvoll. Unser nicht enden wollender und mit all meiner Leidenschaft ausgetragene Streit zermürbte auch Felixʼ Eltern. Seine Mutter bemühte sich in stundenlangen Gesprächen mit ihm, die Gründe herauszufinden. Sie vergoss bittere Tränen, zweifelte an der Erziehung ihres Sohnes und verstand die Welt nicht mehr. Mein Schwiegervater stürzte sich eines Tages schluchzend in meine Arme. Das ganze Theater war ihm zu viel geworden, und er wusste nicht mehr, wohin mit seinen aufgestauten Gefühlen. Er könne auch nicht sagen, was mit Felix los sei, klagte er unter Tränen. Es war offensichtlich, dass bei uns allen die Nerven völlig blank lagen.
In dem ganzen Theater versuchte ich, mich auf meine Abschlussprüfungen vorzubereiten. Weihnachten stand vor der Tür. Ich fuhr zum Friedhof in die mir verhasste Stadt Waldstadt. Ich heulte am Grab meiner Großmutter und erzählte ihr, was los war. Auch das half nicht. Als ich die A45 zurückraste, ging es mir schlechter als vorher.
Ich hatte mir alle möglichen Notfallpläne im Kopf zurechtgelegt: Plan A sah vor, dass ich Capriola verkaufen würde. In Köln ein Pferd zu halten, war mehr als doppelt so teuer wie in Ruhrstadt. In Plan A hatte ich mit der Reiterei endgültig abgeschlossen. Ich wollte nicht mehr. Um Plan A bei Bedarf aus der Schublade ziehen zu können, hatte ich Capriola in einer bundesweit erscheinenden Zeitschrift als Verkaufspferd annonciert. Das Foto von ihm wurde sogar auf der Titelseite veröffentlicht. Plan A war ein grausamer, auf Selbstschädigung ausgerichteter und unerbittlich harter Plan.
Plan B sah die Suche nach einer kleinen Wohnung und einem Stall für Capriola vor. In Plan B wollte ich mit aller Macht an den Manifesten meines Lebens festhalten. In Plan B wollte ich unbedingt weiterreiten. Plan B hätte unglaublich viel Kraft gekostet. Beide Pläne hatten nur eine Gemeinsamkeit: Die unausweichliche und gnadenlose Trennung von Felix und die Suche nach einem anderen Mann.
Plan C beinhaltete ein Miniappartement in einer dieser Großstädte. In Plan C würde Capriola bei Felixʼ Eltern bleiben. Er fühlte sich wohl dort. Felixʼ Vater würde ihn in der Reithalle laufen lassen. Ich würde an meinen freien Tagen nach Hause fahren, reiten und in meiner Wohnung wohnen. Plan C kotzte mich an.
Plan D war die Heirat. Unspektakulär. Ohne Kniefall meines Mannes. Standesamtlich. Hauptsache, in Ruhrstadt bleiben. Hauptsache, mit Felix zusammenbleiben. Eine Familie gründen. In eine Bauersfamilie einheiraten. Ein braves Frauchen werden. Plan D schien unerreichbar. Plan D war allein nicht machbar. Plan D
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